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Mit traditioneller Gastfreundschaft wurden die niederländische Königin Beatrix und ihr Mann Claus begrüßt.

© dpa

Beatrix vor 22 Jahren in Deutschland: Die Königin machte auch ohne Krone Eindruck

Vor 22 Jahren besuchte Königin Beatrix einen kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern. Über das Ereignis berichtete damals ein Tagesspiegel-Journalist - wir haben den Text aus dem Archiv geholt. Eine Zeitreise.

„Die soll ruhig mal sehen, wie es hier aussieht, wovon wir leben. Die Landwirtschaft geht kaputt, die Männer sind im Vorruhestand", erzählt die ältere Frau nach einigem Zögern. Sie wohnt in Bellin, einem 375-Seelen-Dorf südlich von Güstrow. „Die Stimmung ist nicht so doll, jeder wartet auf bessere Arbeit". In ihrer Familie sind drei Männer arbeitslos. Nun wartet sie mit etwas neugieriger Skepsis auf den angekündigten Besuch von Königin Beatrix und Prinz Claus der Niederlande, die sich in Begleitung von Bundespräsident Weizsäcker und Ministerpräsident Gomolka von Mecklenburg-Vorpommern über die Lage der Landwirtschaft informieren wollen.

Fahnen wehen bei strahlendem Sonnenschein im Wind vor dem neoklassizistischen Gutshaus, das einst Parteischule der SED und bis August vergangenen Jahres ein Heim für Swapo-Kinder aus Namibia war. Jetzt steht es leer. Ein festlicher Tisch ist für die Gäste gedeckt, um bei einer kleinen Stärkung über die Landwirtschaft zu informieren.

Noch ist die Königin nicht da, die ersten Schaulustigen finden sich ein. Ein Rentnerpaar kam extra aus Lage, 60 Kilometer entfernt, angereist. Sie freuen sich auf den Besuch. „Früher kam man doch überhaupt nicht so nah ran, da wurde doch schon Kilometer vorher abgesperrt", erzählt der Mann. Plötzlich knattern die Hubschrauber mit dem königlichen Besuch über dem Gut. Die örtlichen Honoratioren eilen zum Torgebäude, das noch in etwa an die einstige Pracht dieses Rittergutes erinnert, um die Gäste zu empfangen. Die Presse muß im Hause warten.

Fast ist es ein runder Tisch aus revolutionären Zeiten, an dem sich die Königin, der Präsident, die Vertreter der Landesregierung, private und Genossenschaftsbauern bei Kaffee und Broten zu hausgemachter Wurst einfinden. Ministerpräsident Gomolka lobt das Gut Bellin als ein Beispiel, wie man aus der jetzigen ökonomischen Misere mit genossenschaftlichen Methoden Arbeitsplätze in der Landwirtschaft sichern könne. Gomolka verschwieg aber nicht, daß etwa nur noch 20 Prozent der bisher in der Landwirtschaft Beschäftigten gehalten werden könnten - neben der Eigentumsfrage eines der Hauptprobleme des Landes. Der Geschäftsführer des Gutes, Grosse, ehemals Leiter der LPG, nun mit zehn Prozent Teilhaber an der neu gegründeten Agrargesellschaft GmbH & Co, an der zu weiteren 4O Prozent die Genossenschaftsbauern und zu 5O Prozent der Enkel des vormaligen Besitzers, Sloman, beteiligt sind, verhehlte seine Freude nicht über den hohen Besuch. Er verwies stolz auf den Versuch, Altes und Neues miteinander zu kombinieren. Die LPG brauche nun Kapital, Grund und Boden habe man mit „viel List und Tücke" von der Treuhand für 12 Jahre gepachtet.

Königin Beatrix hörte den Ausführungen Grosses interessiert zu, wollte dann wissen, welchen Einfluß die Europäische Gemeinschaft auf die Arbeit im Lande habe, ob es dadurch Probleme gebe? Stichwort für den Landwirtschaftsminister Brick, der etwas über die Quoten stöhnte, und Bauernpräsident Röpke erinnerte wortgewaltig daran, daß für Mecklenburg-Vorpommern alles ein bißchen zu schnell gekommen sei. „Über Nacht waren wir Marktwirtschaftler ohne Markt, der Osthandel ist durch die DM weg. Wir wurden Kapitalisten ohne Kapital und hoffen nun auf Hilfe".

Königin Beatrix trat als geduldige Zuhörerin auf

"Welche Märkte haben Sie nun?", will der Bundespräsident wissen. Geliefert werde nun bis Neubrandenburg und Rostock, vielleicht auch bald über die alte Grenze, erklärt Grosse. Am Tisch sind auch einige Bauern oder ehemalige LPG-Abteilungsleiter, die sich wieder selbstständig gemacht haben. Unter 2OO Hektar sei nichts rentabel, erzählt einer. Mit dem Karlsruher Urteil sei ihnen ein Stein vom Herzen gefallen. In sein Dorf sei nun wieder etwas Ruhe eingekehrt. Aber es sind immer die gleichen Probleme, die genannt werden: fehlende Märkte, noch mangelnde Veredelung der Produkte und die ewige Finanzierung. "Wahrung ist alles", hatte schon ein Schlosser auf dem Hof die Misere auf den Punkt gebracht.

Königin Beatrix ist informiert, will mehr wissen über die Tiefladerbauern, die mit einem Traktor aus dem Westen ankommen, Land pachten, es kurz bestellen und dann stillegen, um Prämien zu kassieren. Aber dem werde nun Einhalt geboten, erklärte Gomolka. "Es gibt genug Land für alle , die interessiert sind, sich hier wirklich niederzulassen und das Land zu bestellen oder die Produkte hier im Land zu veredeln", ergänzte der Landwirtschaftsminister. „Wecken die niederländischen Bauern, die kommen, nicht Mißtrauen?" wollte die Königin sofort wissen. „Wir freuen uns über jeden, der kommt", antwortete prompt Bauernpräsident Röpke. Frank und frei berichteten die Mecklenburger von ihren Nöten, ohne große Scheu, aber mit sichtlicher Freude. Ihre Spontaneität kam an. "Ich kam von der Straße zum Landratsposten", sagte der frisch gebackene Amtsinhaber am Tisch „diese Leute sehen sie oft hier im Lande".

Königin Beatrix war eine geduldige Zuhörerin, fragte interessiert, probierte die Brote mit der hausgemachten Wurst und trank die frisch gemolkene Milch, die ihr Jugendliche in altmecklenburgischer Tracht am Eingang nebst Brot und Salz zur Begrüßung gereicht hatten. Die Trachten wurden übrigens im Friedrichstadtpalast in Berlin für die Tanzgruppe Herzsprung, einer landwirtschaftlichen Ausbildungsstätte, nach alten Vorbildern genäht. „Wir hatten auch schon mal vor Erich Honecker auf einem Bauernkongreß getanzt. Wir sind einiges gewöhnt", hatte eines der Mädchen noch kurz vor dem Besuch der Königin ihre Aufregung forsch weggewischt.

Dann schneller Aufbruch, Händeschütteln, der Bus fährt vor, die niederländischen Kollegen hatten noch schnell einen Bollerwagen mit Kindern am Bus platziert, macht sich immer gut für ein Foto, und die Belliner konnten noch einmal die Monarchin und den Bundespräsidenten aus nächster Nähe sehen. „Daß es sowas gibt, die kann man sich ja richtig aus der Nähe anschauen. Früher kamen wir doch gar nicht ran. Wir wußten doch nie, wer hier zu Besuch kam", erzählt ein älterer Mann, der es immer noch nicht fassen kann, daß ohne großes Brimborium Nähe zu Politikern möglich ist. „Die müßten öfter mal herkommen", meinte ein anderer. „Da geht doch jeder jetzt nach Hause und erzählt davon. Was das bedeutet!" sagt der erste und kann seine Rührung kaum verbergen. Und in den Augen eines arbeitslosen Bauern glänzen Tränen. Daß es ihm gefallen hat, bedarf keiner Worte.

Die Menschen hatten das Gefühl, ernst genommen zu werden, auch wenn viele neben der Freude über den hohen Besuch nicht leugneten, daß sie zur Zeit eigentlich andere Sorgen hätten. Manchmal war es auch einfach ungläubiges Staunen, über das, was sich gerade abgespielt hatte. Alles ist noch so neu und die Sorgen sind drückend. Nur ein Stepke im Bollerwagen, der ganz dicht an der Königin dran war, als sie in den Bus eingestiegen war, war überhaupt nicht begeistert. „Die hatte ja gar keine langen Haare!" - „Und keine Krone", ergänzte ein anderer trocken.

Lesen Sie hier ein Portrait von Königin Beatrix - ebenfalls aus der Tagesspiegel-Ausgabe vom 27. April 1991.

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