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Panorama: Beseelt vom Jazz

Christina Aguilera erhebt ihre kraftvolle Stimme zu Klängen aus alten Zeiten

Was muss das für eine wunderbare Kindheit gewesen sein: Christina Aguilera lässt auf ihrem neuen Album die Musik auferstehen, die sie als achtjähriges Mädchen gehört hat – und es swingt, twistet und jazzt. Die heute 25 Jahre alte R’n’B-Sängerin liebte schon damals, als sie bei ihrer Großmutter in Pittsburgh lebte, Platten aus den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren. Sie schwärmte für Blues- und Jazz-Sängerinnen wie Ella Fitzgerald, Dinah Washington oder Etta James und eiferte deren Stimme und Soul nach. Und an diese Zeit, an dieses Lebensgefühl sucht sie als endlich erwachsen gewordene Frau Anschluss.

„Back to Basics“ heißt das Doppelalbum, das seit gestern in den Läden steht. Zurück zu den Anfängen soll es gehen, und bei dieser musikalischen Reise begleiten Christina Aguilera Streicher, Bläser, Gospelchöre, ein wenig Dixieland, ein bisschen Vaudeville. Den Anschluss an die heutige Musik besorgten mit Scratches, treibenden Beats und Basslinien renommierte HipHop-Produzenten wie DJ Premier und Charles Roane. Dazwischen röhrt, wimmert, knödelt, hebt sich Aguileras Stimme vibrierend in die Höhe.

Noch immer ist es ihr Gesang, der die Musik trägt, diese Goldstimme, die manchmal so fantastisch ist, manchmal nervt, die doch aber immer aufregend klingt und auf der sich Aguileras ganze – na, fast ganze – Karriere aufbaut. Schon als kleines Mädchen in Pittsburgh schmetterte sie vor tausenden Fans die amerikanische Nationalhymne in Football-Stadien. Mit 13 Jahren moderierte sie an der Seite von Britney Spears und Justin Timberlake den Mickey-MouseClub, mit 18 Jahren sang sie für einen Disneyfilm, mit 19 hatte sie ihren großen Durchbruch mit der Hitsingle „Genie in a Bottle“. Damals trat sie noch ganz als das unschuldige Collegemädchen auf, das kurz vor ihrer sexuellen Erweckung steht, ein Flaschengeist, der freigelassen werden wollte.

Umso mehr schockierte ihr baldiger Imagewechsel, den sie mit dem zweiten Album „Stripped“ vor vier Jahren vollzog: Nicht mehr nett und süß wollte Christina Aguilera sein, sondern verführerisch, aufmüpfig und verrucht. Für viele war dieser Wandel unglaubwürdig und zu berechnend.

Auch warfen nicht wenige der neuen Christina, die sich jetzt Xtina nannte, ihr offensiv zur Schau gestelltes Begehren vor. Doch „Stripped“ wurde ein noch größerer Erfolg als das Debüt, die Single „Dirrty“, in deren Video man den einstigen süßen Fratz als Schlammringerin bewundern konnte, ein Hit. Und die Sängerin hatte ihr Thema gefunden: Warum sollte es einer Frau vorenthalten bleiben, was bei männlichen Hip-Hop- und R’n’BKollegen toleriert wurde – explizit von Verlangen zu singen? Mit diesem Wunsch nach selbstbestimmter Sexualität verband sie Forderungen nach Frauenrechten, prangerte häusliche Gewalt an und das verzweifelte Bemühen vieler Frauen, einem von Männern gemachten Bild gerecht zu werden. Die Single „Beautiful“, die dieses Anliegen in eine eingängige Melodie verpackte, wurde ihr bislang größter Erfolg.

Auch auf dem neuen, dem dritten Album stellt Christina, wie sie jetzt wieder heißt, mit dem trotzig groovenden Song „Still Dirrty“ klar, dass sie noch immer das unanständige Mädchen sein kann. Im Booklet präsentiert sie sich in den bekannten lasziven Posen. Doch das Provokante und Aggressive ist einem ernsthafteren Anspruch gewichen. Nicht mehr das leichte Mädchen, die rotzfreche Göre will Aguilera sein, sondern eher divenhaft wie die Idole ihrer Kindheit. Sie hat sich Piercings entfernen lassen, die Haare platinblond gefärbt und im vergangen Jahr den Musikmanager Jordan Bratman geheiratet, dem sie „Back to Basics“ widmet. In dem rührenden und etwas peinlichen letzten Song des Albums, „Right Man“, resümiert sie dieses für sie wichtigste Ereignis: In der Kapelle steht die Braut, die ihre Vergangenheit zurücklässt und endlich weiß, dass es den Mann fürs Leben gibt.

Viele der 22 Stücke auf dem Album, die Aguilera allesamt gemeinsam mit der Four-Non-Blondes-Sängerin Linda Perry geschrieben hat, handeln von der großen Liebe, vom Ankommen und davon, dass Aguilera selbst sicher keine leichte Partnerin ist. „Save me from myself“ bittet sie in einer simplen wie emotionalen Ballade. Ihre vielen Seiten, die sie in sich und nach außen trägt, die machen ihr wohl selber Angst.

Daniel Völzke

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