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Hoffnung auf ein besseres Leben. Jayalakshmi Suvarna benutzt seit Jahren Bleichcreme, obwohl Hautärzte vor gesundheitlichen Schäden warnen. Foto: Lana Slezic/Visum

© Lana Slezic/PANOS/VISUM

Panorama: Besessen von weiß

Millionen von Inderinnen versuchen ihre Haut zu bleichen. Ein hellerer Teint erhöht die Chance, einen Job zu finden – und einen Ehemann. Doch die neueste Kampagne der Industrie geht vielen zu weit.

Hellhäutig – so müsse die künftige Braut sein. Dies steht in in fast jeder Heiratsanzeige, die an den Wochenenden Indiens Zeitungen pflastern. Auch fast 65 Jahre nach Abzug der britischen Kolonialherren scheint der Subkontinent besessen von weißer Haut. Diese erhöht nicht nur die Heirats-, sondern auch die Jobchancen. Millionen Inderinnen malträtieren sich regelmäßig mit Bleichcremes, um einen hellen Teint zu bekommen, obgleich nicht einmal sicher ist, dass Pasten und Masken überhaupt wirken und obendrein viele gefährliche Chemikalien wie Quecksilber enthalten sollen. Doch das tut dem Wahn keinen Abbruch.

Während sich viele bleiche Westler an den Stränden dieser Welt grillen und Hautkrebs, Falten sowie Lederhaut riskieren, sich mit Selbstbräunern beschmieren oder unter Turbobräunern brutzeln, können in Indien auch alle Warnungen von Hautärzten den Griff zur Bleichcreme nicht stoppen. Allein in Indien soll der Markt weit mehr als 400 Millionen Dollar schwer sein – mit steigender Tendenz. Inzwischen ist es schon schwierig, noch Kosmetika ohne bleichende Chemikalien zu finden. Medien und Werbeindustrie geben ihr Bestes, um die Obsession zu schüren. Dutzende Werbespots flimmern täglich über die Bildschirme, um den Inderinnen Schneewittchen als Schönheitsideal einzubläuen.

Ob in Magazinen, Filmen oder Anzeigen – nur den Alabasterweißen ist das Glück hold, sei es in Form eines Ehemannes, eines Jobs oder eines Tennispokals. Dagegen bleibt die goldbraune Schöne einsam, allein und erfolglos und sieht, missachtet von der Männerwelt, einem traurigen Los als alte Jungfer entgegen.

Zugleich überschwemmen immer mehr Bleichprodukte das Land – für die Augenpartie, fürs Gesicht, für den Körper, ja sogar Deodorants für strahlend weiße Achseln gibt es. Auch die Männerwelt geht nicht leer aus. Kosmetikfirmen bieten ihnen längst eigene Produktlinien an. Schon vor einigen Jahren empfahl Bollywood-Superstar Shahrukh Khan in einem Werbespot einem jungen Mann, Bleichcreme zu benutzen, um die Aufmerksamkeit von Frauen zu gewinnen,

Doch nun hat die Bleichindustrie eine neue, bis dato unerschlossene Region entdeckt, von der sie sich einen neuen Boom erhofft: Die „private parts“, wie man im Englischen den Genitalbereich umschreibt. Ungeniert trichtern die Werbeprofis der Frauenwelt neuerdings ein, dass dies ein echtes Problem darstelle. Und präsentieren prompt Abhilfe: Eine Waschlotion.

Doch das geht vielen Frauen zu weit. Sie halten das Produkt für einen unakzeptablen Schlag unter die Gürtellinie, ein entsprechender Werbespot entfachte einen Sturm der Entrüstung. Gezeigt wird eine junge Inderin, die traurig dreinblickt, weil ihre Schamzone so dunkel ist, wie der Kaffee, im dem sie rührt, und ihr Ehemann sich lieber mit der Zeitung vergnügt. Erst als sie zur bleichenden Intimlotion greift, kehrt der Kick und das Glück zurück. Suggestiv lässt sie den Autoschlüssel in ihren kurzen Shorts verschwinden, da sie ja nun mit vorzeigbarer Weiße locken kann. Lachend schließt ihr Mann sie in seine Arme.

Doch der Damenwelt ist das Lachen vergangen. „Meine Vagina ist nicht glücklich über die jüngsten Ereignisse in den indischen Medien“, empörte sich Elle-Autorin Deepanjana Pal und spießte damit zugleich Doppelmoral auf, die zwar die weibliche Intimzone ins Zentrum eines TV-Spots rückt, aber es tabuisiert, das Wort im Munde zu führen. „Dies ist die ultimative Kränkung. Hautbleiche für die Vagina“, ärgerte sich auch Rupa Subramanya vom Wall Street Journal. Und das waren noch eher die dezenteren Reaktionen aus Frauenmunde.

Die Manie beschränkt sich keineswegs auf Indien. Auch in anderen Ländern Asiens, aber auch im karibischen, arabischen oder afrikanischen Raum gilt helle Haut vielerorts als Schönheitsideal – und drängen sich Whitening-Produkte in den Regalen.

Den Trend zu stoppen, ist jedoch schwer. Dunkle Haut ist in Indien wie ein Makel und gilt als hässlich. Die Wurzeln reichen weit zurück in der Historie. Nicht nur die Briten, auch frühere Herrscher Indiens wie die Moguln hatten einen helleren Teint. So wird weiße Haut bis heute mit Adel, Status, Geld und Macht assoziiert. Die Ärmeren schufteten dagegen auf dem Feld in der Sonne und hatten meist dunklere Haut.

Die Folgen erleben dunkelhäutige Inder bis heute täglich. Sie werden mit weniger Respekt behandelt, haben schlechtere Job- und Karrierechancen, werden in der Schule und am Arbeitsplatz diskriminiert und gehänselt. Vor allem auf dem Heiratsmarkt drückt dunkle Haut den Wert massiv und kann sogar die Ehe mit einer „guten Partie“ verbauen.

Daher hält der Boom an. Fast jede besser betuchte Inderin greift heute zu bleichenden Cremes, Masken, Seifen oder Pillen. Selbst bitterarme Familien geben ihre Rupien für hellere Haut aus. Noch im hinterletzten Dorf findet man die unvermeidliche Tube „Fair & Lovely“, dem Marktführer von Hindustan Unilever, im Kiosk. Viele Schönheitssalons mixen ihre eigenen Geheimtinkturen, deren Ingredienzen sich jeglicher Kontrolle entziehen.

Hautärzte sind nicht glücklich über den wachsenden Bleichtrend. Viele dieser Cremes seien gefährlich, warnt ihr Verband. Und niemand wisse, was wirklich in den Tiegeln enthalten sei, da in Indien nur bei Medikamenten die Bestandteile deklariert werden müssen. Einige Substanzen wären in Europa wohl schlicht verboten. Rötungen, Reizungen, Ausschläge sind noch die harmloseren Folgen. Bisweilen wird die Haut auch dauerhaft gefleckt, verliert ihre natürliche Pigmentierung oder dunkelt sogar ein. Sogar Nierenschäden sollen durch die Mittel ausgelöst werden.

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