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Panorama: Besuch in der Hölle

Die zwei Überlebenden kehrten in ihr Verlies im Haus von Marc Dutroux zurück – mit 110 Prozessteilnehmern

Charleroi (dpa). Für die Opfer war der Gang am schwersten. Vor dem Besuch im Kinderkerker des Mädchenmörders Marc Dutroux hatte Sabine Dardenne noch fröhlich in die Fernsehkameras auf einer nahen Brücke gewunken. Nach dem Ortstermin stand die 20Jährige mit rot geweinten Augen vor dem Haus in Charleroi, in dem ihr Peiniger sie im Sommer 1996 genau 80 Tage gefangen hielt und mehrfach vergewaltigte. Auch ihrer Leidensgefährtin Laetitia Delhez (22) war der Eindruck der bösen Erinnerungen vom Gesicht abzulesen.

Dabei hatte der Tag in beinahe gelöster Stimmung begonnen. Fast wie zu einer Kaffeefahrt waren die Richter, Geschworenen, Anwälte, Opfer und Angehörigen sowie ein ausgewähltes Publikum am Morgen mit zwei Reisebussen vom südbelgischen Arlon in die wallonische Industriestadt Charleroi abgereist. Marc Dutroux, der Hauptangeklagte im Prozess um die Entführung und Ermordung mehrerer Mädchen Mitte der 90er Jahre, wurde in einer gepanzerten Mercedes-Limousine an den einstigen Tatort gefahren. Er, seine mit angeklagte Ex-Frau Michelle Martin und der geständige Komplize Michel Lelièvre mussten bei der Besichtigung wie bei jeder Sitzung des Schwurgerichts anwesend sein.

Trotz des strahlenden Sonnenscheins und mitgebrachter Sandwiches für alle ungefähr 110 Teilnehmer des Ortstermins verflog die Ausflugsstimmung in der Avenue de Philippeville 128 rasch. Fast fluchtartig verließen manche Geschworene das verwahrloste Reihenhaus. Die Mutter von Laetitia Delhez erlitt einen Schwächeanfall und wurde medizinisch versorgt. Angehörige verließen erkennbar schockiert das winzige Kellerverlies, in dem die achtjährige Julie Lejeune ihr letztes Lebenszeichen hinterlassen hatte: „Julie“ hatte das Mädchen an die Wand gekritzelt, bevor es verdurstete. Laetitia Delhez, die vor dem schweren Gang in den Keller noch nervös geraucht und gelacht hatte, wirkte nach dem Besuch mitgenommen. Anfang vergangener Woche hatten Delhez und Dardenne vor Gericht ihre Leiden im Dutroux-Keller geschildert. Diese Berichte können die Geschworenen, die voraussichtlich Mitte Juni über Schuld oder Unschuld der Angeklagten entscheiden, nun nach der Besichtigung auch mit einem konkreten Ort verbinden.

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