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© promo

Betles-Pilgerstätte: Help me if you can

Der hoch verschuldete Musikkonzern Emi muss die legendären Abbey-Road-Studios verkaufen.

Es ist das berühmteste und – das schwören nicht nur viele Rockmusiker – beste Tonstudio der Welt. Aber wenige würden es kennen, wenn da nicht der noch berühmtere Zebrastreifen ein paar Schritte bergab in der Abbey Road wäre. Dort wurden am 8. August 1969 kurz vor Mittag die vier Beatles fotografiert, wie sie im Gänsemarsch die Straße überqueren. John Lennon mit Löwenmähne und Vollbart voraus, Paul McCartney barfuß im Anzug. Fotograf Iain Macmillan stand auf einer Bockleiter mitten in der Straße. Trotzdem dauerte der Fototermin nur zehn Minuten. Eigentlich sollte das Album, das die Beatles in diesem Sommer im Emi-Studio in der Nummer 3 der Abbey Road aufnahmen, „Everest“ heißen. Aber das Foto war so schön, dass das Album „Abbey Road“ genannt wurde. Die Plattenhülle und der Ruhm des Albums machten den Straßennahmen, den Zebrastreifen und schließlich auch das Studio weltberühmt, in dem die Beatles 90 Prozent ihrer Platten einspielten.

Seither bricht der Strom der Fans nicht ab. Sie pilgern ins vornehme „NW8“, nach St. John’s Wood, fotografieren sich, wie sie über den Zebrastreifen gehen, dann gehen sie die paar Schritte zur Nummer 3, machen noch mehr Fotos, kritzeln ihre Namen oder „I Love the Beatles“ auf die weiße Mauer, die den Parkplatz abgrenzt.

Gestern standen dort im trübsten Regenwetter unter großen Regenschirmen die Fernsehkameras. Rockfreunde in aller Welt wurden aufgeschreckt durch die Nachricht, dass die Abbey-Road-Studios verkauft werden sollen. Emi, seit 75 Jahren Besitzer der Studios, braucht Geld. Die Emi Group Ltd. wurde vor drei Jahren von dem „Heuschrecken“-Fonds Terra Firma Capital Partners Ltd. für 4,8 Milliarden Euro gekauft – auf Pump und viel zu teuer. Nun drücken die Schulden und Terra Firma braucht Geld – mindestens 120 Millionen Pfund. Die Studios selbst werden so viel wohl kaum bringen – der legendäre Name Abbey-Road-Studios, der dazugehört, aber vielleicht schon.

So durchschlagend war der Erfolg des „Abbey Road“-Albums, dass die Emi-Studios ein Jahr später umgetauft wurden – in Abbey-Road-Studios. Die Beatles waren meist im Studio 2, gelegentlich auch dem hallenartigen Studio 1, bis heute das einzige professionelle Tonstudio in London, in dem ein ganzes Symphonieorchester Platz hat. Etwa bei der Aufnahme für „A Day in the Life“ aus dem „Sgt. Pepper“-Album. Damit die richtige Stimmung aufkam, verteilten die Beatles Pappnasen und Partyhüte an die Musiker.

Die Beatles hatten keine Lust mehr auf Live-Tournee zu gehen, weil die Fans mit ihrem Kreischen die Musik übertönten. Deshalb entwickelten sie als erste Rockgruppe die Studioproduktion zur hohen Kunst: Angeleitet von Wunderproduzent George Martin, unterstützt von den Vier-Spur-Tonbändern der Abbey-Road- Studios und hilfreichen Personal: Tontechniker hatten weiße Kittel, das Hilfspersonal, das den Tee servierte, hatte braune Kittel und hieß „Brownies“. Alles war gewerkschaftlich geregelt. Auch die Aufnahmezeiten: 10.30 Uhr bis 13 Uhr, 2.30 Uhr bis 5.20 Uhr und in einer Abendsitzung von 19 Uhr bis 22 Uhr.

Emis Vorläufer, die „Gramophone Company“, hatte die alte Villa 1929 für 100 000 Pfund gekauft und zum ersten professionellen Tonstudio Europas gemacht. Eingeweiht wurde es 1931 mit einer Einspielung von Sir Edward Elgars patriotischem Stück „Land of Hope and Glory“. 1932 lud Elgar das 16-jährige Wunderkind Yehudi Menuhin ein. Arthur Schnabel nahm dort Beethoven auf, Fred Astaire war da, Glenn Miller spielte Stücke ein. Der erste Number-One-Hit aus der Abbey Road war „Oh Mein Papa“, 1954 von dem Trompeter Eddie Calvert als Instrumental eingespielt.

1958 wurde Cliff Richards „Move it“ dort geboren, vielen gilt dies als der erste wirkliche britische Rock-’n’-Roll-Titel. Aus Cliff Richards Band The Drifters wurden die Shadows, später kamen Manfred Mann und Shirley Bassey. 1962 sangen die Beatles „Love me Do“ – bis zum Ende der Dekade sollten sie Stammgäste in der Abbey Road sein. Ihre letzte Aufnahme war „I Me Mine“ am 3. Januar 1970.

1973 folgte einer der größten Studio-Erfolge: Pink Floyd nahmen „The Dark Side of the Moon“ auf und nutzten das technische Know-how der Studios voll aus. Mike Oldfield, Jeff Beck, dann die Ska Generation, Spandau Ballett, Kate Bush und Sting – alle waren hier. Zahllose Filmmusiken wurden in dem großen Studio 1 aufgenommen – zum Beispiel für „Harry Potter“ oder „Herr der Ringe“. „Abbey Road wurde das beste Studio für Filmmusik in der Welt“, sagte der frühere Studioboss David Holley.

Emi wird mit den Abbey-Road-Studios einen Kern seiner 75-jährigen Geschichte verlieren. Ob das Studio anderen Londoner Ikonen wie dem alten Doppeldeckerbus oder den roten Telefonzellen in die Vergangenheit folgt – oder unter einem neuen Besitzer eine rosige Zukunft hat, ist offen. Sicher ist eins. Der Zebrastreifen bleibt.

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