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Einer der Gewinner. Jena gehört zu den Städten im Osten, die auch bei jungen Leuten beliebt sind. Ländliche Gegenden haben das Nachsehen.

© imago/Bild13

Bevölkerungsentwicklung: Ostdeutschland wird Zuwanderungsregion

Nach Jahrzehnten der Abwanderung sagt eine Studie: Es kommen mehr in den Osten als gehen. Auch Flüchtlinge spielen eine wichtige Rolle bei der Trendwende.

Nach dem Fall der Mauer wollten die Menschen nur weg. Rund 1,8 Millionen sind mit der Wende aus dem Osten Deutschlands in den Westen gezogen oder ganz ausgewandert. Vor allem Jüngere suchten ihre Chancen woanders. Bis zuletzt blieb das so. Doch seit drei Jahren kommen mehr Menschen in das alte Gebiet der DDR, als dass sie gehen. Das ist zumindest das Ergebnis einer Studie, die das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung am Dienstag vorgestellt hat.

Von dieser Trendwende profitierten aber nur größere Städte wie Leipzig, Dresden, Jena, Erfurt und Potsdam. „Dort zeigen sich die Früchte des Aufbaus Ost und der Städtebauförderung“, sagte Reiner Klingholz, der Direktor des Berlin-Instituts. Wenngleich sie nur 15 Prozent der fünf Flächenländer ausmachen. In den restlichen Dörfern und Orten würde die Bevölkerungszahl nach wie vor abnehmen. Die Kluft zwischen Wachstums- und Schrumpfregionen wird größer. Berlin wurde bei der Studie ausgeklammert.

Junge wollen in die Großstädte

Weiter differenziert das Berlin-Institut zwischen fünf Altersgruppen – mit unterschiedlichen Gründen, den Wohnort zu wechseln. Bildungswanderer, zwischen 18 und 24 Jahren, verlassen der Studie nach vermehrt ländliche Regionen und ziehen in Universitätsstädte wie Leipzig, Dresden und Jena.

Die Unis haben dort einen guten Ruf. Die Miete und Einkäufe sind günstiger als in Düsseldorf oder München. Und weil sich in den Städten auch der Arbeitsmarkt verbessert habe, würden viele nach der Ausbildung oder dem Studium bleiben. „Damit verfügen die ostdeutschen Flächenländer endlich wieder über national und international wettbewerbsfähige Städte“, meinte Klingholz.

Die sogenannten Berufswanderer, die 25 bis 29 Jahre alt sind, zieht es ebenfalls weg vom Land. Zu keiner anderen Zeit ist das Großstadtleben so beliebt bei Frauen und Männern unter 30. Wenngleich die Gruppe der Berufswanderer die einzige ist, die selbst 2013 mehr aus dem Osten abgewandert als zugewandert ist. Zwar sind die Jobperspektiven besser geworden. So gut wie im Westen oder im Ausland seien sie aber noch nicht.

Ganz anders als die beiden genannten Gruppen verhalten sich der Studie nach Familien. Für sie scheinen eher kleinere, ländliche Kommunen interessant zu sein. Gerne in der Nähe einer größeren Stadt, aber auch entlegene Dörfer kämen infrage. Nur könnten Eltern, die ihre Kinder im Grünen aufziehen wollen, nicht den Verlust der Mittzwanziger ausgleichen. In der demografischen Gesamtbilanz schrumpfen die ländlichen Gegenden deswegen weiterhin. Menschenleeren Landstrichen und leer gefegten Dörfern bleiben die Jungen fern.

Wo es Familien und Rentner hinzieht

Für jene Eltern, deren Kinder gerade das Haus verlassen haben, sei ein Tapetenwechsel im Osten noch attraktiv. Unterm Strich seien 2013 rund 3000 „Empty-Nest-Wanderer“ mehr gekommen als gegangen. Seltener könnten sich Menschen im Ruhestand für einen Umzug begeistern. Über 65-Jährige seien in den letzten Jahren zwar auch mobiler geworden. Sie zieht es im Osten aber weniger in die großen, sondern in die mittelgroßen Städte mit 10.000 bis 50.000 Einwohnern. Nicht allzu weit von ihrem bisherigen Zuhause entfernt. Ihr Ziel ist eine bessere Versorgung, mit einem Arzt, einer Apotheke und den nötigsten Geschäften in der Nähe.

Weil der Zuzug von Älteren neue Arbeitsplätze für Friseure oder Pflegekräfte schaffen könnte, sollten mittelgroße Städte ihr altersfreundliches Umfeld mehr vermarkten. Dazu kommt: Die Zahl der Sterbefälle überschreitet die der Geburten erheblich. 2030 dürfte rund jeder dritte Einwohner im Osten im Rentenalter sein. Im Westen soll das laut der Studie im Jahr 2060 so sein.

Flüchtlinge als Chance fürs Land

Wichtig seien deswegen Geflüchtete. „Für die ländlichen Gemeinden eröffnet sich damit die Chance, neue Bewohner zu gewinnen“, sagte Klingholz. „Wo sich Flüchtlinge dauerhaft niederlassen, können Schulen vor der Schließung bewahrt werden, neue Geschäfte oder kleine Unternehmen entstehen und Leerstand würde zu Wohnraum.“ Zwar verfügten ländliche Kommunen, anders als Städte. kaum über Migrantennetzwerke. Sie würden aber andere Vorteile bieten: Wo die Menschen in Vereinen zusammenkämen und wo man den Nachbarn kenne, sei eine Integration im Prinzip leichter als in der anonymen Großstadt.

Ein Beispiel: In Zeulenroda, Thüringen, würden Landratsamt, Handwerkskammer und Arbeitsagentur zusammenarbeiten und 16 Flüchtlingen anbieten, erst einen Sprachkurs zu machen, dann ein Praktikum, und schließlich eine Ausbildung. Sollten sich Gemeinden so gezielt um Geflüchtete kümmern, müssten sie allerdings stärker unterstützt werden, sagte Klingholz.

Für die Studie mit dem Titel „Im Osten auf Wanderschaft“ untersuchte Reiner Klingholz mit Manuel Slupina die Einwohnerentwicklung von 2695 ostdeutschen Kommunen. Gefördert wurde die Untersuchung von der Ostbeauftragten der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD). „Platz allein reicht nicht“, betonte sie am Dienstag. Notwendig seien auch Arbeitsplätze und eine Willkommenskultur. „Sonst sind die genauso clever wie unsere eigenen Kinder und bewegen sich dahin, wo Arbeit und Einkommen sind.“

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