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Beziehungsstreit: Szene online

Junge Paare streiten immer häufiger via Internet – und zwar ganz öffentlich, bei Facebook und Co.

Berlin - Die beiden diskutierten das Thema, immer und immer wieder. Sie wollte in Deutschland studieren – er war dagegen. Irgendwann schrieb er das an ihre Pinnwand bei Facebook, sodass es für die Freunde der beiden sichtbar wurde: „Das bringt dich sowieso nicht weiter, es ist Blödsinn.“ Dorota Krogulec erinnert sich an die Sätze ihres Ex-Freundes im Wortlaut. Kurz nach dem Eintrag brachen die Diskussionen los, Freunde des Pärchens mischten sich mit Kommentaren via Facebook ein. „Wenn du gehst, dann schafft ihr das nicht“, schrieb einer. Der Druck auf Krogulec wurde stärker. Aber die damals 21-Jährige ließ sich nicht umstimmen und nahm ein Studium in Deutschland auf. Die Beziehung der beiden Polen ging kaputt. „Das hatte unterschiedliche Gründe, aber das viele öffentliche Streiten hat uns sicher nicht geholfen“, sagt Krogulec.

Erst kürzlich hat die „New York Times“ von einem Trend berichtet: Immer mehr Pärchen streiten sich öffentlich im weltweiten Netzwerk Facebook mit seinen mehr als 400 Millionen Nutzern. Von einem Ersatz für den klassischen Streit im Restaurant ist da die Rede, davon, wie Paare „eine Szene machen“. Im deutschen Facebook-Pendant StudiVZ kann man einer Gruppe beitreten, die da heißt: „Pärchen, die sich in der Öffentlichkeit streiten, sind lustig!“ Auf Facebook heißt eine Leidensgemeinschaft „I dislike people/couples who argue publicly on facebook“, sie hat 97 Mitglieder. Aber warum streiten sich Paare überhaupt öffentlich?

Paartherapeuten sind sich nicht einig, inwieweit solche Dispute einer Beziehung schaden. Der Berliner Psychologe Frank Schneider glaubt, die vermehrte Nutzung sozialer Netzwerke verschiebe die Grenzen der Intimität. „Das Verständnis davon, was in einer Partnerschaft oder Ehe nach außen getragen werden darf, verändert sich. In unserer tradierten Vorstellung von Beziehungen mutet so viel Öffentlichkeit sicher komisch an, aber für viele junge Paare ist das inzwischen ganz normal“, sagt Schneider.

Tatsächlich flirten und kommunizieren viele moderne Pärchen wie selbstverständlich über soziale Netzwerke, manche wollen ihrem Freundeskreis wohl einfach zeigen, wie glücklich sie sind. Caroline und Michael zum Beispiel haben sich über Facebook kennen gelernt, indem sie einander Kommentare schickten – öffentlich. So wurden sie ein Paar. Und auch seither flirten sie weiter online. Die Berlinerin Caroline und der Augsburger Michael führen eine Fernbeziehung. „Wir arbeiten eben viel und über Facebook lässt sich schnell mal eine Nachricht senden“, sagt Caroline. Aber warum öffentlich? „Warum nicht?“, fragt sie. Streitigkeiten tragen die beiden dann aber doch lieber intern aus.

Der Psychologe Frank Maaß bezeichnet Streit als Bestandteil einer gesunden Beziehung. „Wenn sich zwei Personen überhaupt nicht mehr miteinander streiten, dann sind sie sich in vielen Fällen gleichgültig“, sagt er. Maaß teilt Streit in zwei Kategorien: konstruktiv und destruktiv. Konstruktiver Streit sei an der Sache orientiert und in die Zukunft gerichtet, die Leitfrage laute in etwa so: „Wie können wir künftig gemeinsam zu einer Einigung kommen?“ Am Ende eines Streits solle „die Beziehung als Sieger hervorgehen“, sagt Maaß. Ganz anders der destruktive Streit, bei dem jeder Partner Gewinner sein wolle. „Es werden dann fieberhaft Argumente gesucht, damit der andere einem am Ende recht gibt – das ist dann die Genugtuung.“ Das öffentliche Streiten über Facebook befördere tendenziell den destruktiven Streit. Denn häufig suchten die Streitparteien dort vor allem nach Unterstützung von Freunden. „Sie argumentieren dann mit der Anzahl der Freunde, die ihnen recht geben“, sagt Maaß. So wie der Ex-Freund der Polin Krogulec, dessen Freunde sich gegen ihr Studium in Deutschland aussprachen. „Die Freunde stehen natürlich unter Loyalitätsdruck“, sagt Maaß. Die Beiträge der Freunde brächten Diskussionen deshalb selten in der Sache voran, sondern trieben einen Streit eher zur Eskalation.

Dorota Krogulec jedenfalls ist nach ihrer schlechten Erfahrung mit dem öffentlichen Streit nachdenklich geworden. „Heute frage ich mich manchmal, ob die Entscheidungen, die mein Freund und ich damals getroffen haben, wirklich unsere waren oder ob wir nur unter dem Einfluss unserer Bekannten standen“, sagt sie. Inzwischen greift Krogulec bei Meinungsverschiedenheiten zum Telefon oder klärt sie ganz altmodisch: unter vier Augen.

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