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Panorama: BGH prüft Urteil gegen "Kannibalen"

Im Revisionsprozess um das Urteil gegen den "Kannibalen von Rotenburg" vor dem Bundesgerichtshof haben Bundesanwälte und Verteidigung eine Aufhebung des Richterspruchs gefordert. Die in der deutschen Justizgeschichte beispiellose Straftat solle erneut verhandelt werden, verlangten sie.

Karlsruhe (13.04.2005, 15:21 Uhr) - Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen den Paragrafen. Im spektakulären Revisionsprozess um das Urteil gegen den «Kannibalen von Rotenburg» vor dem Bundesgerichtshof müssen die Richter versuchen, sich trotz der schockierenden Details vom Gefühl zu lösen und die Gesetzestexte zu deuten. Hat Armin Meiwes sein Opfer ermordet, bevor er es zerstückelte und teils aufaß, wie die Bundesanwaltschaft am Mittwoch zu beweisen versuchte? Oder war es vielmehr eine Tötung auf Verlangen des Opfers, wie die Verteidigung erklärte? Beide wollen das Urteil von achteinhalb Jahren Haft prüfen und den in der deutschen Justizgeschichte beispiellosen Fall erneut verhandeln lassen. Eine Entscheidung soll am 22. April fallen.

Der heute 43-jährige Meiwes hatte vor vier Jahren einen Internet- Bekannten vor laufender Kamera zerlegt und Teile der Leiche aufgegessen. Da sich das Opfer freiwillig in die Hände des von Kannibalismus-Fantasien getriebenen Täters begeben hatte, hatte das Landgericht Kassel die grauenvolle Tat lediglich als Totschlag eingestuft. «Dieses Urteil ist rechtsfehlerhaft», kritisierte nun Bundesanwalt Lothar Senge die Entscheidung vom Januar 2004. Es seien Mordmerkmale nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden. Es lägen niedere Beweggründe ebenso vor wie das Motiv der Befriedigung des Geschlechtstriebs und - wegen der Störung der Totenruhe - auch ein Mord zur Ermöglichung einer Straftat.

Verteidiger Harald Ermel stufte das Verbrechen nach wie vor als Tötung auf Verlangen ein. Darauf stehen laut Gesetzbuch höchstens fünf Jahre. Auch sei die Menschenwürde des Opfers nicht verletzt worden: «Das Opfer hat auf diese Würde verzichtet», argumentierte der Verteidiger. Sein Mandant sei nur der «Wünsche-Erfüller» gewesen. «Er hat immer nur das gemacht, was die anderen machen wollten.» Nach Ansicht Ermels ist vor der Tötung «eine Arbeitsteilung, ein Pakt vereinbart» worden. «Der eine wollte schlachten und essen, der andere wollte geschlachtet werden.»

«Das war ein Verbrechen auf sittlich tiefster Stufe», sagte dagegen Bundesanwalt Senge. Dabei sei der Mensch aus ungehemmter und abartiger Eigensucht zum bloßen Objekt geworden. «Diese Fantasien durchziehen das Leben des Angeklagten wie ein roter Faden.» Senge forderte, das neue Verfahren an ein anderes Landgericht zu verweisen. Beim neuen Urteil dürfe auch die Wiederholungsgefahr nicht außer Acht gelassen werden. «Der Nächste muss jünger sein, aber nicht so fettig», zitierte Senge eine Aussage von Meiwes.

Deutlich wird auch vor dem 2. Strafsenat, wie schwer es fällt, die Tat von Rotenburg in Worte zu fassen. Immer wieder schwanken die Beschreibungen zwischen dem spröden Deutsch der Gesetzbücher und der Unfassbarkeit. Von «Schlachtbank» und «Schlachtanleitung» ist ebenso die Rede wie von «postmortalem Achtungsanspruch» und «beschimpfendem Unfug». (Martin Oversohl, dpa)

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