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BRAZIL-FLOODS-LANDSLIDE

© AFP

Bis zu 200 Vermisste: Neue Erdrutsche: Rio im Schlamm

UPDATE Nach neuen Erdrutschen im brasilianischen Bundesstaat Rio de Janeiro suchen hunderte Rettungskräfte verzweifelt nach Überlebenden.

Es wollte nicht aufhören. „Es war, als hätte der Himmel seine Schleusen geöffnet.” So beschrieb eine Frau in Rio de Janeiro den Regen, der 17 Stunden lang ununterbrochen zwischen Montag und Dienstag über der brasilianischen Stadt niederging und schwere Verwüstungen anrichtete. Mehr als 100 Menschen starben der Feuerwehr zufolge durch Überschwemmungen und Erdrutsche. Zahlreiche weitere wurden noch vermisst. Der Verkehr in Rio de Janeiro kam praktisch zum Stillstand, der Strom fiel teilweise aus. Der nationale Flughafen wurde für mehrere Stunden geschlossen, auf dem internationalen mussten viele Flüge gestrichen werden oder waren stark verspätet. Fast einen Meter hoch stand das Wasser in den tiefer gelegenen Stadtteilen. „Für den Weg vom Stadtzentrum nach Hause, der sonst 40 Minuten dauert, habe ich zwölf Stunden gebraucht“, schilderte eine Frau.

Brasilianischen Medien zufolge handelte es sich um das schlimmste Unwetter seit 50 Jahren. Verursacht wurde es nach Angaben von Meteorologen durch eine ungewöhnlich heftige Kaltfront, die auch Windböen von bis zu 75 km/h mit sich brachte. „Über Rio ist in zwei Tagen der Regen niedergegangen, der sonst in einem Monat fällt. Das einzige, was wir tun können, ist Gott um Hilfe zu bitten“, sagte Präsident Luiz Inacio Lula da Silva. Der Staatschef kondolierte außerdem den Angehörigen der Opfer und verhängte eine dreitägige Staatstrauer.

Er befand sich während des Unwetters zur Einweihung von Sozialbauten in Rio und konnte so das Drama persönlich in Augenschein nehmen. In der Stadt, die 2014 Ausrichtungsort der Fußball-WM und 2016 der Olympischen Spiele sein wird, herrschte das totale Chaos – stecken gebliebene Busse, umgestürzte Bäume, abgerutschte Hänge, Menschen, die auf den Dächern ihrer überfluteten Häuser auf Hilfe warteten, unpassierbare Straßen. Die Brücke zwischen Rio und Niterói musste geschlossen werden, die Lagune Rodrigo de Freitas trat über die Ufer. Auch das berühmte Maracana-Fußballstadion stand unter Wasser. Der Bürgermeister ließ die Schulen schließen und forderte die Menschen auf, in ihren Häusern zu bleiben. Nur wer in abrutschgefährdeten Gebäuden lebe, solle diese umgehend verlassen und zu Verwandten flüchten. Außerdem würden Notlager in den städtischen Turnhallen eingerichtet.

Versäumnisse der Politik

Betroffen waren neben Rio auch die Städte Niterói, Petrópolis, Paracambí, Nilópolis und São Gonçalo. Präsident Lula kritisierte die unzureichende Infrastruktur der künftigen Olympiastadt, insbesondere den Bau von Häusern in Risikogebieten und das mangelhafte Abwassersystem. „In einer Skala von null bis zehn der Vorbeugung liegt Rio bei null“, erklärte er. In der Tat kommt es jedes Mal nach schweren Unwettern in Rio zu einem Chaos. Allerdings sah Lula darin kein Problem für die Ausrichtung der kommenden Spiele. „Solche großen Unwetter sind absolute Ausnahmeerscheinungen“, sagte er und machte den globalen Klimawandel dafür verantwortlich. Erst vor wenigen Monaten hatte die Region unter einer beispiellosen Hitze- und Dürrewelle gelitten, mit Temperaturen von bis zu 40 Grad. Der mitursächliche Klimawandel wird aber in Rio als Ausrede benutzt, mit der die Politik von ihrem Versagen ablenken will. Besonders dramatisch war die Lage in den Favelas, den Armenvierteln, die an den Hängen gebaut sind. Der Boden war den Wassermassen nicht gewachsen, ganze Straßenzüge der unsicher gebauten Häuser rutschten ab und verschütteten Menschen unter sich. „Es sterben bei solchen Tragödien vor allem die Armen“, sagte der Gouverneur des Bundesstaates, Sergio Cabral, ein Verbündeter Lulas. Er rief den Ausnahmezustand aus, wies aber Vorwürfe weit von sich. Schuld an der Katastrophe sei die illegale und chaotische Bebauung der Hügel.

Rund 10 000 Häuser befinden sich in Rio in abrutschgefährdeten Zonen. Praktisch alle Favelas der Stadt sind Landbesetzungen im Zuge der Landflucht und Verstädterung im 20. Jahrhundert. Vor allem seit dem Ende der Militärdiktatur in den 80er Jahren sind Millionen von Brasilianern in die Städte gezogen in der Hoffnung auf Arbeitsplätze und ein besseres Leben. Die Migration hält bis heute an, ohne dass die Behörden dies in ihre Planungen mit einbeziehen. Aus den Bretter- und Blechhütten entstehen im Laufe der Zeit Häuser aus Stein und Ziegeln, aber meist vergehen viele Jahre, bis so ein Viertel Anschluss an Strom-, Telefon- und Wassernetze bekommt. Abwasserkanäle gibt es bis heute nur in den wenigsten Favelas.

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