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Panorama: Bitte nicht bohren

Ein riesiges Öl- und Gasförderprojekt könnte die letzten Westpazifischen Grauwale gefährden

Sie galten schon als ausgestorben: die Grauwale, die sich im Sommer vor der Insel Sachalin im äußersten Osten Sibiriens ihren Winterspeck anfressen. Die bis zu 14 Meter langen Meeressäuger mit dem wissenschaftlichen Namen Eschrichtius robustus hatten Walfänger anscheinend ausgerottet. Dann tauchten in den 80er Jahren ein paar Tiere im Fernen Osten wieder auf. Es könnte ein sehr kurzes Gastspiel dieser letzten, etwa hundert Grauwale werden. Auch deutsche Steuergelder könnten es beenden helfen, befürchtet Volker Homes von der Naturschutzorganisation WWF in Frankfurt.

Die Bundesrepublik hält einen Anteil von 8,61 Prozent an der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), der so genannten Osteuropabank. Sechzig Nationen haben sie mit der EU gegründet, um dem Osten Europas wirtschaftlich auf die Sprünge zu helfen. Sie fördert auch das größte Öl- und Gasprojekt der Welt, das für rund 21 Milliarden US-Dollar im Osten Russlands entsteht. Von dort sollen China, Japan und Südkorea versorgt werden.

6,7 Milliarden US-Dollar dieser Kosten sollen Kredite finanzieren. Das Konsortium Sakhalin Energy, zu dem sich der Shell-Konzern mit zurzeit 55 Prozent und die beiden japanischen Unternehmen Mitsui mit 25 und Mitsubishi mit 20 Prozent zusammengetan haben, um die riesigen Ölfelder zu erschließen, möchte 400 Millionen Dollar von der Osteuropabank bekommen. In Zukunft wird wohl auch der russische Energiekonzern Gasprom beteiligt sein. Wichtig ist Sakhalin Energy dabei weniger die relativ bescheidene Summe, sondern die Signalwirkung eines solchen Kredits: Weil die Osteuropabank bisher die Einhaltung der Umweltstandards bei von ihr mitfinanzierten Projekten zuverlässig kontrolliert hat, richten sich auch private Kreditgeber nach der EBWE. Gibt die internationale Bank grünes Licht, dürften die restlichen 6,3 Milliarden Dollar schnell zusammenkommen.

Diesmal aber fällt der EBWE die Prüfung nicht leicht: Über einem Teil der Öl- und Gasfelder liegen die Sommerweiden der Westpazifischen Grauwale. „Von dieser Art gibt es nur noch 23 Weibchen, die Kälber gebären können“, erklärt Douglas Norlen von der US-Naturschutzorganisation Pacific Environment. Stört die Ölförderung das Fressen dieser Tiere, könnte die Art rasch aussterben. Denn eine andere Sommerweide kennen die Wale anscheinend nicht. Den Winter über hungern die Tiere ohnehin.

Als 1998 zwölf Kilometer südlich der Weidegründe die erste Bohrplattform entstand, flohen die Wale zunächst nach Norden. „1999 fielen uns dann zum ersten Mal Wale auf, die völlig abgemagert wirkten“, schildert Dmitri Lisitsin von der regionalen Naturschutzorganisation Sakhalin Environment Watch.

Seit 2005 entsteht jetzt eine zweite Plattform weiter im Norden, die sich nach Angaben des Shell-Direktors Patrick Kammerer in Hamburg nur noch „sieben Kilometer ... außerhalb des Gebietes, das als Nahrungsgrund der Wale identifiziert wurde“, befindet. Beim Bau gab es einigen Lärm, allerdings hätten von Sakhalin Energy beauftragte Wissenschaftler keine Auswirkungen auf das Verhalten der Grauwale gefunden, beteuert dessen Sprecher Matthew Bateson. Tierschützer aus Russland kamen zu anderen Ergebnissen, als sie die Grauwale 2005 beobachteten: Je näher sie der Baustelle kamen, umso mehr Schiffe kreuzten und umso weniger Wale weideten am Meeresgrund.

Im Mai 2006 versuchten die Naturschützer Douglas Norlan und Dmitri Lisitsin zusammen mit Volker Homes vom WWF, deutsche Bundestagsabgeordnete davon zu überzeugen, das Projekt noch einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen. Im Reisegepäck hatten sie eine Petition von mehr als 10 000 Sachalin-Bewohnern, die zweite Phase der Ölförderung nicht zu finanzieren. Mit seinem 8,6-Prozent-Anteil an der Osteuropabank kann Deutschland über Finanzminister Peer Steinbrück schließlich über eine Kreditvergabe mitentscheiden. Unabhängig voneinander verfassten die Fraktion der Grünen und die Fraktionen der Regierungskoalition Anträge zum Schutz der Grauwalpopulation oder zur Ablehnung des Kredites. Am 30. Juni sollte im Bundestag darüber abgestimmt werden. Aber kurzfristig wurde dieser Tagesordnungspunkt wieder gestrichen – ohne Begründung, wie das Büro des sächsischen CDU- Abgeordneten Peter Jahr bestätigt.

In den Tagen zuvor hatte die Hamburger Shell-Zentrale bei SPD-Abgeordneten angerufen. Shell-Direktor Kammerer bestätigt, dass sein Unternehmen selbstverständlich immer wieder Kontakt mit Abgeordneten hat. Über die Grauwale habe er besonders mit der Berliner SPD-Abgeordneten Mechthild Rawert telefoniert, um sie besser zu informieren. Sie ließ sich von den Argumenten des Mineralölkonzerns gegen den Antrag der Koalitionsfraktionen nicht überzeugen – und war sehr überrascht, als der von der Tagesordnung verschwand.

Jetzt entscheidet die Osteuropabank im Sommer wohl ohne deutsche Beteiligung – die nächste Bundestagssitzung ist erst am 4. September. Für die Grauwale könnte das zu spät sein, auch wenn der Shell-Direktor versichert, die Risiken für die Tiere zu minimieren.

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