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Von Sportfieber ist in Neu Delhi zehn Tage vor der Eröffnung der Commonwealth Games nichts zu spüren.

© Reuters

Bloß weg hier: Den Commonwealth Games droht ein Fiasko

Fäkalien im Sportlerdorf, einstürzende Bauten, Terrorangst: Die aufstrebende Wirtschaftsmacht Indien ist dabei, sich böse zu blamieren.

Die ausländischen Inspektoren waren schockiert. Schlaf- und Badezimmer starrten vor Dreck, die Klospülungen funktionierten nicht, Stromkabel baumelten lose herum, und in einigen Betten räkelten sich Straßenhunde. Damit nicht genug: „Da waren Exkremente, wo sie nicht sein sollten“, schaudert ein Delegierter – sogar Waschbecken seien voller Fäkalien gewesen. Die aufstrebende Wirtschaftsmacht Indien ist dabei, sich böse zu blamieren. Das Sportlerdorf, von Indien als Prunkstück der Commonwealth Games (CWG) gedacht, sei „als menschliche Behausung unzumutbar“, befanden die ausländischen Vorhutteams entsetzt.

Nur zehn Tage vor dem Start stehen die traditionsreichen Sportspiele CWG, die kleine Olympiade des früheren britischen Kolonialreiches, auf „Messers Schneide“. Mindestens acht Länder, darunter Australien, England und Schottland, drohen, ihr Kommen abzublasen, wenn Indien nicht für Hygiene und Sicherheit garantiere. Dabei wollte Indien mit dem Spektakel glanzvoll demonstrieren, dass es in der Liga der Supermächte mitspielt. Über 6500 Sportler aus 71 Nationen sollten dieser Tage in Delhi eintrudeln, doch nun hagelt es Absagen und Kritik. CWG-Präsident Michael Fennel eilte am Donnerstag zu Krisengesprächen nach Delhi, um zu retten, was zu retten ist. Mehrere Nationalteams verschoben vorerst ihre Ankunft.

Bereits in den Vortagen hatten reihenweise internationale Top-Athleten abgesagt. Der britische Dreispringer Phillips Idowu twitterte: „Ich habe Kinder. Meine Sicherheit ist wichtiger als eine Medaille.“ Für Ärger sorgt nicht nur der erbärmliche Zustand des Sportlerdorfs, wo die Organisatoren gerade zwei Reiniger für 100 Zimmer abstellten. Auch einstürzende Bauten, eine Dengue-Epidemie und Terrorgefahr lassen die Gäste um ihr Leben bangen. Erst am Dienstag krachte eine nagelneue Fußgängerbrücke ein – der Überweg sollte einen Großparkplatz mit dem Nehru-Stadion verbinden, wo die Spiele am 3. Oktober eröffnet werden. Man möchte sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn die Brücke unter der Last von hunderten Besuchern eingestürzt wäre. So wurden „nur“ 27 Arbeiter verletzt.

Doch die Kritik perlt an den Zuständigen ab wie der Monsunregen, der auf Delhi niederprasselt. Der selbstherrliche Chef des indischen CWG-Organisationskomitees, Suresh Kalmadi, dem die meisten Inder das Debakel ankreiden, ist angeblich untergetaucht. Sein Generalsekretär Lalit Bhanot goss noch Öl ins Feuer, als er nonchalant meinte, es gebe keinen Grund, sich für die Zustände im Sportlerdorf „zu schämen“. „Für uns ist es sauber. Die Ausländer haben andere Maßstäbe von Sauberkeit. Es ist schlicht ein Unterschied in der Wahrnehmung“, befand Bhanot. Empört fragten TV-Sender „Sauberkeit indischer Stil“?

Und Leser höhnten erbittert: „Wir danken Herrn Bhanot, dass er redegewandt aufgezeigt hat, dass wir eine Nation von faulen Dilettanten sind, die es mögen, in ihren eigenen Exkrementen zu schlafen.“ Das hausgemachte Desaster weitet sich zur Staatskrise aus. Von „nationaler Schande“ reden die Medien. „Indien steht gedemütigt vor der Welt da.“ Der Volkszorn wogt hoch – seit Jahren war die Nation nicht mehr so sauer auf ihre Elite. Das CWG-Fiasko ist für die Menschen zum Symbol für die chronischen Missstände geworden: Systemische Korruption, massiver Pfusch, eine unkoordinierte Bürokratie und eine abgebrühte Machtclique, der das Land egal ist und die den Staat eiskalt ausweidet.

Obwohl sich das Desaster seit Monaten abzeichnet, tönte Kalmadi bis zuletzt großspurig, es würden die besten Spiele aller Zeiten – besser sogar als die Olympischen Spiele 2008 in China. Stattdessen macht sich das stolze Indien nun zum Gespött. Nur einen Rekord können die Organisatoren locker halten: Die Spiele gelten als die bisher teuersten in der CWG-Geschichte. Und niemand fühlt sich verantwortlich. Wie immer in Indien ist am Ende halt das Wetter schuld. Tatsächlich schüttet es seit Monaten in Delhi wie seit 30 Jahren nicht mehr. Doch die Organisatoren hatten sieben Jahre Zeit, um die Spiele vorzubereiten. Bei einer möglichen Absage dürften Gäste zwar die durchaus reale Terrorgefahr vorschieben. Doch noch weit gefährlicher erscheinen die Dengue-Epidemie und die marode Infrastruktur.

Viele Bewohner Delhis wünschen sich inzwischen nur noch, dass das ganze Spektakel schnell vorüber geht. Von Sportfieber ist in der 16-Millionen-Metropole kurz vor der Eröffnung nichts zu spüren. Hotels klagen, sie hätten weniger Buchungen als sonst – dabei ist Oktober normalerweise Hochsaison. Viele wollen während der Spiele lieber aus der Stadt flüchten. Delhis Straßen sind ohnehin chronisch verstopft. Nun wurde den CWG-Gästen auch noch eine eigene Spur reserviert. Den Einheimischen droht damit der völlige Verkehrskollaps. Die Stadt propagiert bereits eine Art Hausarrest: Im Radio legte sie den Einwohnern nahe, während der Spiele zu Hause zu bleiben. Vorsorglich wurden alle Schulen vom 3. bis 14. Oktober geschlossen.

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