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Panorama: Blutbad mit Ankündigung

Im beschaulichen Emsdetten im Münsterland hat ein 18-jähriger Amokläufer seine ehemalige Schule überfallen und sich selbst getötet

Gewalt an der Schule war in dem beschaulichen Ort Emsdetten bisher allenfalls ein Thema im Projektunterricht. An diesem Morgen aber bricht sich die Gewalt Bahn im Münsterland. Auf eine Weise, die keiner der Bewohner jemals für möglich gehalten hätte. Ein 18-Jähriger stürmt, mit vier Gewehren bewaffnet, die Geschwister-Scholl-Realschule und eröffnet das Feuer. Er schießt auf Schüler, auf den Hausmeister und eine schwangere Lehrerin und nimmt sich anschließend offenbar selbst das Leben.

Sofort wird die Schule von Polizisten abgeriegelt, Feuerwehr-, Polizei- und Notarztwagen bahnen sich einen Weg durch die Anwohner der ansonsten so ruhigen Straße. Die Nachricht hat sich in Minutenschnelle im Ort verbreitet. Eltern versuchen mit Tränen in den Augen, zu den beiden Zelten des Rettungsdienstes durchzukommen, um zu erfahren, ob ihre Kinder unter den Opfern sind. Gerüchte von der Schwere der Verletzungen machen die Runde, es soll mindestens einen Toten gegeben haben. Erst später gibt die Polizei Entwarnung, niemand außer dem Täter ist ums Leben gekommen. Andere Eltern halten erleichtert ihre Handys ans Ohr: Aus der in unmittelbarer Nähe der Schule eingerichteten Sammelstelle melden sich ihre Kinder telefonisch, um mitzuteilen, dass ihnen nichts passiert ist.

„Nichts passiert“ – als die Schüler nach rund anderthalb Stunden die Sammelstelle gruppenweise verlassen können, steht den meisten der Schock noch ins Gesicht geschrieben, nicht wenige haben rot geweinte Augen.

„Nichts passiert“ – 27 Menschen wurden verletzt, wie „dpa“ später berichtet. Drei Jungen, ein Mädchen und ein 1953 geborener Hausmeister seien von Schüssen getroffen worden, teilte die Staatsanwaltschaft am Nachmittag mit. Es gebe elf Verletzte aus der Schule sowie 16 Polizisten, die Rauchgasvergiftungen erlitten hätten. Keines der Opfer schwebe in Lebensgefahr. Allerdings seien die Schussverletzungen „teilweise gravierend“, sagte Wolfgang Schweer von der Staatsanwaltschaft Münster.

Es sei ein „reiner Glücksfall“, dass nur der Täter ums Leben gekommen sei. Neben der Leiche des Mannes fanden die Beamte Gewehre und Sprengfallen. Er hatte das Gebäude zudem mit selbst gebastelten Rohrbomben versehen und Rauchbomben gezündet.

Unterdessen wird bekannt gegeben, dass das Gebäude evakuiert ist und sich keine Schüler mehr in der Gewalt des Amokläufers befinden. Auch dessen Identität ist mittlerweile klar: Es ist der 18-jährige Sebastian B., bis vor zwei Jahren selbst Schüler der Geschwister-SchollSchule. Er soll sich im Gebäude verbarrikadiert haben, andere reden davon, er habe sich selbst in die Luft gesprengt. Obwohl alle Schüler gerettet sind, rücken immer mehr Scharfschützen der Polizei an und verschwinden im Gebäude. Unter denjenigen, die fassungslos die Szenerie betrachten, ist auch Bürgermeister Georg Moenikes. Er wohnt selbst in unmittelbarer Nachbarschaft der Schule, ebenso wie seine Stellvertreterin – das Umfeld gilt als durchaus gute Wohngegend. Amokläufe an Schulen, das gab es weit weg in Erfurt oder in den USA, aber hier? Dass sich in dieser ländlichen Idylle dieses Drama abgespielt hat, das macht alle Umstehenden sprachlos.

Der Polizeieinsatz soll noch viele Stunden dauern. Am Körper der Leiche finden die Beamten des Einsatzkommandos weitere Sprengsätze, die erst entschärft werden müssen – ehe Sebastian B. zum letzten Mal seine ehemalige Schule verlassen wird. Ein Amokläufer, der sich Sprengsätze an den Körper heftet – das erinnert an Selbstmordkommandos im Nahen Osten. Hatte er sie als Vorbild genommen? Der 18-Jährige hat nach bisherigen Erkenntnissen allein gehandelt. Hinweise auf Kontakte zu Extremisten gibt es nicht. An diesem Dienstag hätte er sich wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz vor Gericht verantworten müssen. Er war der Polizei als Waffennarr bekannt.

Der Amokläufer hat nach Angaben der „Münsterschen Zeitung“ seine Tat bereits vor zweieinhalb Jahren angekündigt und psychologische Hilfe in einem Internetforum gesucht. „Für alle, die es noch nicht genau verstanden haben: Ja, es geht hier um Amoklauf“, schrieb er dem Blatt zufolge am 26. Juni 2004. Unklar ist, ob der Mann daraufhin Hilfe bekam. Wie die Zeitung weiter berichtet, war er Mitglied einer Gruppe von Softair-Spielern, mit denen er im Wald militärische Szenen nachspielte. Darunter waren auch Exekutionen. Dabei kam es auch zur Explosion von Sprengstoff. Auch soll er ein fanatischer „Counterstrike“-Spieler im Internet gewesen sein.

Im Internet ist ein Abschiedsbrief aufgetaucht. „Das einzigste, was ich intensiv in der Schule beigebracht bekommen habe, war, dass ich ein Verlierer bin“, heißt es in dem Text, in dem auch die GeschwisterScholl-Schule genannt wird. Mitschüler und Lehrer bescheinigen dem ehemaligen Schüler eine Nähe zum Satanskult. „Ich verabscheue Menschen“, heißt es auf der Internetseite. Dort posiert der junge Mann auf Fotos mit Waffen, darunter auch eine Maschinenpistole.

Laut „Spiegel online“ hat Sebastian B. kurz vor seiner Tat Videoaufnahmen ins Internet gestellt, auf denen ein zweiter junger Mann zu sehen ist. Auf mindestens zwei der vier Filme sei eine weitere Person zu sehen, berichtete das Nachrichtenportal. Eines der Videos sei mit einem Heavy-Metal-Song unterlegt und zeige zwei schwarz gekleidete junge Männer, die mit Waffen posieren und mit selbstgebastelten Sprengsätzen hantieren. Eine Aufnahme sei ein „kruder Zeichentrickfilm“, in dem zuerst ein nackter Mann erschossen und dann eine nackte Frau von einer stilisierten Bombe zerfetzt werde. Drei der vier Filme seien erst am Sonntagabend zwischen 18 Uhr und 20 Uhr online gestellt worden.(mit ddp und AFP)

Bernd Schäfer[Emsdetten]

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