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Blutige Diamanten: Ein verhängnisvolles Geschenk für Naomi Campbell

Niemanden interessiert das Verfahren – bis ein Topmodel vor Gericht auftaucht. Naomi Campbells Aussage soll Liberias Ex-Präsidenten Charles Taylor belasten und wirft doch nur neue Fragen auf. Schickte der Kriegsverbrecher ihr Diamanten?

Zwei Enten pflügen träge durch den Grützeteppich auf dem Wassergraben vor dem UN-Sondergericht in Leidschendam. Auf dem Grünstreifen vor der Tankstelle gegenüber bauen Fernsehteams ihre Plastikzelte auf, damit Kameras und Mikrofone trocken bleiben. Es ist acht Uhr in der Frühe – auf Naomi Campbells Glamour-Seismografen dürfte dieser Termin außerhalb des messbaren Bereichs liegen. Sie kommt ja auch nicht aus freien Stücken in den kleinen Ort bei Den Haag, sondern weil ihr das Gericht mit Beugehaft drohte.

Sie ist als Zeugin geladen in einem Verfahren, das bis jetzt nicht auf überbordendes Medieninteresse stieß. Ihre Aussage ist wichtig, denn es geht um Charles Taylor, der vor und während seiner Amtszeit als Präsident von Liberia der wohl am meisten gefürchtete Mann Westafrikas war. Ihm werden schwere Kriegsverbrechen, Verstöße gegen die Menschlichkeit, sexuelle Versklavung und der Einsatz von Kindersoldaten vorgeworfen.

Er soll die Rebellengruppe Revolutionary United Front (RUF) in Liberias Nachbarland Sierra Leone unterstützt haben, indem er seine Truppen entsandte sowie Waffen gegen Diamanten lieferte – und somit den grausamen Bürgerkrieg im Land anheizte. Der RUF-Mann Foday Sankoh, ein Vertrauter Taylors, ließ systematisch Menschen verstümmeln, ließ vielen Hände oder Unterarme abhacken. Während des Bürgerkriegs, der von 1991 bis zum Jahr 2002 andauerte, starben mehr als 120 000 Menschen. Taylor droht eine lebenslange Haftstrafe, die Staatsanwaltschaft hat jedoch bis jetzt noch kein konkretes Strafmaß gefordert. Noch fehlen Beweise, eine direkte Verbindung zu den sogenannten Blutdiamanten zum Beispiel.

Taylor, der seit dem 20. Juni 2006 in Den Haag in Haft sitzt, bestreitet die Vorwürfe. Er habe auch niemals Diamanten entgegengenommen, gab der 62-Jährige, dem als erstem afrikanischem Ex-Präsidenten vor einem internationalen Tribunal der Prozess gemacht wird, zu Protokoll. Auch sonst sei er in allen Punkten unschuldig. Ihm das Gegenteil zu beweisen, das ist der amerikanischen Chefanklägerin Brenda Hollis bislang nicht gelungen – obwohl bereits 90 Zeugen verhört worden sind. Und nun soll Naomi Campbells Aussage die entscheidende Wendung bringen. Doch wird ihre seltsame Geschichte wirklich der Wahrheitsfindung zuträglich sein? Schickte ihr Taylor heimlich Edelsteine? Zuletzt schlug sie bei der New Yorker Fashion Week einem Reporter die Kamera aus der Hand, weil seine Kollegin sie nach Taylor und den Blutdiamanten gefragt hatte.

Sie betritt den Gerichtssaal, die ehemalige abhörsichere Turnhalle des niederländischen Geheimdienstes, mit einigen Minuten Verspätung. Unter extremen Sicherheitsvorkehrungen ist sie in das Gebäude gelangt. Sie trägt ein seriöses cremefarbenes Kostüm und eine betonierte Ponyfrisur – wahrscheinlich eine Perücke. „Naomi Campbell: Sie wird langsam kahl“, textete die „Bunte“ Ende Juni über ein Foto von Campbells Kopf. Das Klatschmagazin spekulierte: Eine Ursache für die offensichtlich fortgeschrittene Alopezie, Verlust der Haare, könnte der Hang des Models zur Haarverlängerung sein.

Später wird sie erklären, warum ihre Anwälte alles getan haben, ihre Zeugenaussage hinauszuzögern: „Ich habe Angst um die Sicherheit meiner Familie. Charles Taylor hat offenbar tausende Menschen auf dem Gewissen, das habe ich im Internet gelesen.“ Doch erst schwört Campbell, Absolventin eines Anti-Aggressions-Kurses, auf die Bibel, dass sie „die Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ sagen wird. Dann muss sie sich in allen Einzelheiten an eine schicksalhafte Nacht vor 13 Jahren in Südafrika erinnern, in der sie Charles Taylor traf.

Sie war 1997 nach Pretoria gereist, um Geld für eine Kinderhilfsorganisation des damaligen südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela zu sammeln. Es kam zu einem Abendessen in der Residenz Mandelas, zu dem unter anderem auch die Schauspielerin Mia Farrow, der Musikproduzent Quincy Jones und Campbells damalige Agentin, Carole White, eingeladen waren. Dies gilt als verbrieft.

Campbell sagt aus, auch Charles Taylor sei erschienen, allerdings sei er erst etwas später gekommen. Sie habe bis zu diesem Zeitpunkt weder etwas über ihn gehört, noch von der Existenz Liberias gewusst. Auch habe sie nicht direkt mit Taylor geredet: „Wenn ich mit Mandela in einem Raum bin, gilt meine Aufmerksamkeit ausschließlich ihm.“

Auf einem Foto, das die Gruppe zeigt, steht sie im weißen Spaghettiträger-Kleid an der Seite von Charles Taylor und lacht. Ihre Agentin hat angegeben, Campbell habe mit Taylor geflirtet. Das Model sagt, er habe sich als Präsident von Liberia vorgestellt, man habe nur kurz darüber geredet, wie „wunderschön“ das Land sei.

Nach dem Essen sei sie in ihr Zimmer in der ersten Etage gegangen. Mitten in der Nacht hätten zwei Männer an ihre Tür geklopft und ihr eine kleine Stofftasche überreicht, „als Geschenk“. Schlaftrunken habe sie den Gegenstand angenommen und sich sofort wieder ins Bett gelegt. Die Frau, die acht Parfüms auf den Markt gebracht hat, roch nicht, dass etwas faul sein könnte.

Naomi Campbell scheint kein besonders neugieriger Mensch zu sein. Sie sagt aus, die Stofftasche erst am nächsten Morgen geöffnet zu haben. „Ich bekomme öfter mal Geschenke, auch nachts. Das ist nichts Neues für mich.“ Nach dem Absender der Aufmerksamkeit habe sie die beiden mysteriösen Boten daher gar nicht gefragt. Niemand kann zudem erklären, wie diese in das von extremen Sicherheitsmaßnahmen geschützte Haus gelangt sein sollen.

Das 40-jährige Topmodel wirkt wach, konzentriert und beherrscht. Campbell gestikuliert kaum, ihre Hände liegen flach auf dem Tisch. Auch in ihrem Gesicht zeigt sich fast keine Regung, sie spricht klar und akzentuiert. Kein Lächeln. In den 25 Jahren, die sie bereits im Model-Geschäft arbeitet, hat sie gelernt, jede Pose natürlich aussehen zu lassen. Auch als Schauspielerin hat sie schon gearbeitet. Bereits als kleines Mädchen war sie in dem Videoclip zu „Is this Love?“ von Bob Marley zu sehen, später spielte sie in der US-amerikanischen Serie „Der Prinz von Bel-Air“ und in der Komödie „Die Nacht mit meinem Traummann“.

Leider gibt es keinen Zeugen für Campbells Gesichtsausdruck, als sie den Inhalt der von den Boten überbrachten Stofftasche in Augenschein nahm: „Darin befanden sich zwei oder drei kleine Steine, die aussahen wie schmutzige Kiesel.“ Gleich erkannt, dass es sich um Rohdiamanten handelt, habe sie nicht. Normalerweise funkelten Diamanten doch und steckten in kleinen Schachteln.

Naomi Campbell muss es wissen: Im Jahr 1994 hat sie einen Weihnachts-Werbespot für H&M gedreht, in dem sie in Unterwäsche zu sehen ist. „Es gibt nur einen Weg, um herauszufinden, ob er dich wirklich liebt. Wahre Liebe kommt in einer kleinen Schachtel. Habe ich jemals gesagt, dass es auf die Größe nicht ankommt?“ Dabei blickt sie auf ein glitzerndes Schmuckstück in einer blauen Box.

Nach dem Abendessen bei Mandela habe sie beim Frühstück Mia Farrow und ihrer früheren Agentin von dem nächtlichen Zwischenfall erzählt. Die beiden Frauen hätten vermutet, dass die Steine nur von Charles Taylor stammen könnten, führt Naomi Campbell aus. Sie habe sich daraufhin entschlossen, das Stofftäschchen dem Chef von Nelson Mandelas Kinderhilfsorganisation zu übereignen – „damit der etwas Gutes damit bewirken kann“. Auf die Frage nach dessen Reaktion sagt sie: „Ich kann mich nicht erinnern, aber er war nicht schockiert.“ Sie sei froh gewesen, dass damit die Sache für sie ein gutes Ende gehabt habe.

Im vergangenen Jahr jedoch wandte sich Mia Farrow mit der Geschichte an das Gericht. Die Schauspielerin engagiert sich bereits seit Jahren für Kinder und gegen Unrecht in Afrika. Erst da habe sie den mittlerweile pensionierten Chef der Kinderhilfsorganisation angerufen und nach dem Verbleib der Rohdiamanten gefragt, sagt Campbell. Der wiederum wollte in den vergangenen 13 Jahren keine Zeit gehabt haben, die ungeschliffenen Steine zu Geld zu machen. Wo die Blutdiamanten jetzt sind, ist unklar.

Im Kreuzverhör mit Charles Taylors Verteidiger Courtenay Griffiths, der wie Campbell aus London stammt und jamaikanische Wurzeln hat, wird sofort klar, dass das Model Charles Taylor mit ihren Aussagen nicht maßgeblich belasten kann. Griffiths konstatiert, es sei reine Spekulation, dass es Taylor gewesen sei, der die Rohdiamanten habe liefern lassen. Der Angeklagte selbst verfolgt das Kreuzverhör ungerührt. Die Sonnenbrille, die er am Anfang des Prozesses noch trug, hat er inzwischen abgelegt. Sein Nadelstreifenanzug sitzt wie eine zweite Haut.

Nach der Aussage Campbells, die ihren Auftritt als „Unannehmlichkeit“ bezeichnet, gibt Griffiths eine Pressekonferenz. Diese Zeugenaussage habe gar nichts bewirkt, im Gegenteil, sogar noch vom Wesentlichen abgelenkt. „Wo waren die Medien bisher? Die Pressetribüne des Verhandlungssaals war oft halb leer. Da muss erst ein Topmodel auftauchen, damit Sie kommen.“

Dass Naomi Campbell 2007 ein Telefon an den Kopf ihres Hausmädchens warf und deswegen bei der New Yorker Stadtreinigung Strafarbeit leisten musste, weiß jeder. Von Charles Taylor dürften die meisten jetzt zum ersten Mal hören.

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