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Panorama: Bobby Fischer – das Spiel ist aus

Zehn Jahre war das Schachgenie auf der Flucht vor den Behörden. Jetzt wurde er in Tokio verhaftet

Er war verliebt. Aus einer Brieffreundschaft war eine Romanze geworden. Zita Rajcsanyi hieß das Mädchen, 18 Jahre alt, Schachspielerin aus Ungarn. Sie verehrte ihn. Das schmeichelte Bobby Fischer. Es ist das Jahr 1992.

Rückblende: Zwanzig Jahre zuvor hatte der Amerikaner die Schach-Weltmeisterschaft gewonnen. Der Wettkampf im isländischen Reykjavik gegen den Russen Boris Spassky ging in die Geschichte ein. Der geniale Exzentriker Fischer entthronte die Sowjets. Nicht nur die Schachwelt, ganz Amerika lag dem „jungen Gott“ zu Füßen. Doch dann zog sich der Paranoiker zurück, lehnte weitere Wettkämpfe ab, schließlich wurde ihm der Titel aberkannt.

Doch nun, zwanzig Jahre später, soll es eine Revanche geben. Spassky hatte längst zugestimmt, Fischer ließ sich von seiner neuen Liebe überreden. Er brauchte Geld. Um insgesamt fünf Millionen Dollar wurde gespielt, der Sieger sollte 3,65 Millionen bekommen. Heikel indes war der Ort des Geschehens – Belgrad, Jugoslawien. Die Vereinten Nationen hatten Sanktionen gegen das Land verhängt. Kein Amerikaner durfte dort Geschäfte machen. Also ließ das Handelsministerium in Washington dem Schachspieler eine deutliche Warnung zukommen. Ein Rematch in Belgrad verstoße gegen den Regierungserlass mit der Nummer 12810. Die Strafe dafür betrage im Höchstfall zehn Jahre Haft plus 250 000 Dollar Bußgeld.

Fischer reist trotzdem. Am 1. September gibt er in Belgrad sogar eine Pressekonferenz. Ob er beunruhigt sei über die Drohung der US-Regierung? Er nimmt den Brief des Handelsministeriums aus seiner Tasche und sagt: „Dies ist meine Antwort auf ihre Anordnung, meinen Titel hier nicht zu verteidigen.“ Dann spuckt er auf den Brief. Seitdem wird er offiziell in den USA gesucht, reist nicht mehr ein, sondern pendelt zwischen Ungarn, Japan und den Philippinen. Er kann weder an der Beerdigung seiner Mutter noch seiner Schwester Joan teilnehmen. Die Jagd nach ihm und seine Flucht sind in dieser Woche zu Ende gegangen. Auf dem Internationalen Flughafen von Tokio wurde der 61-Jährige festgenommen. Bald schon soll er in die USA überführt werden, wo man ihm den Prozess machen wird.

An Fischer schieden sich stets die Geister. Erstens: Er ist sadistisch. „Ich sehe gern, wie sie sich winden“, hat er über seine Gegner gesagt.“ Auch gegen Frauen hetzte er. „Sie sind allesamt schwach, alle Frauen, im Vergleich zu den Männern sind sie dumm.“ Zweitens: Er war – jedenfalls früher – Antisemit und Hitler-Verehrer. Im Frühjahr 1968, vier Jahre vor seiner Weltmeisterschaft, zog der damals 25-Jährige von New York nach Kalifornien. Dort liest er Hitlers „Mein Kampf“. Gerüchten zufolge soll sogar ein Hitler-Porträt über seinem Bett gehangen haben. Fischers Hass auf „jüdische Diebe, Betrüger und Verschwörer“ prägt sich immer stärker aus. Im Mai 1999 sagt er in einem Radio-Interview auf den Philippinen: „Amerika ist völlig unter Kontrolle der Juden. Die Außenministerin und der Verteidigungsminister sind dreckige Juden.“ Er selbst werde von „CIA-Ratten, die für Juden arbeiten“ verfolgt. Fischer selbst kam als Jude zur Welt. Seine Mutter, Regina Fischer, war eine Schweizer Jüdin, die in Moskau Medizin studiert hatte, acht Sprachen beherrschte und noch im Alter von 55 Jahren ihren Doktortitel an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena machte.

Da ist, drittens, der Volksheld. Das spektakuläre Duell 1972 zwischen Fischer und Spassky fand mitten im Kalten Krieg statt. Bis dahin galt die Regel: Die Amis sind gut in Dingen wie Football, die Sowjets dagegen geistig überlegen. Das Schachspiel war ihre Domäne. Doch dann tauchte plötzlich dieses junge Genie auf, das mit traumhaften Kombinationen seine Gegner reihenweise bezwang. Mit 14 Jahren gewann er die US-Meisterschaft, war der jüngste Internationale Großmeister und der jüngste Weltmeisterschaftskandidat. Als Fischer kurz vor dem Duell mit Spassky überlegte, den Wettkampf abzusagen, intervenierte sogar das Weiße Haus. US-Präsident Richard Nixon beauftragte seinen Außenminister Henry Kissinger, Fischer um seine Teilnahme zu bitten.

Da ist, viertens, der Paranoiker. Fischer sah sich immer und überall verfolgt. Seit dreißig Jahren hat er keine Fernseh- oder Zeitungsinterviews mehr gegeben. Wer aus seinem Umfeld mit den Medien spricht, den streicht er aus seinem Adressbuch. Im November 2002 wurde bekannt, dass Fischer tatsächlich verfolgt worden war. Fast drei Jahrzehnte lang hat die amerikanische Bundespolizei FBI ihn und seine Mutter bespitzelt. Die Akten umfassen 750 Seiten. Die Post von Fischers Mutter wurde gelesen, ihre Nachbarn ausgefragt, das Konto kontrolliert. Sie stand im Verdacht, Agentin der Sowjets gewesen zu sein. Im Sommer 1958 tarnte sich ein FBI-Agent sogar als Journalist, um Interviews mit den Produzenten einer Fernsehshow führen zu können, in der Bobby Fischer aufgetreten war.

Und da ist, fünftens, der Amerikahasser. Am 11. September 2001 rief Fischer bei einer Radiostation auf den Philippinen an. „Das ist wunderbar“, sagte er. „Ich begrüße diesen Akt. Die Amerikaner und Israelis haben jahrelang die Palästinenser abgeschlachtet, ausgeraubt und abgeschlachtet. Keiner hat sich darum gekümmert. Nun trifft es die USA selbst. Fuck the US. Amerika muss ein für alle Mal vernichtet werden.“

Jetzt wartet er in Handschellen auf das Gerichtsverfahren.

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