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Panorama: Böses Mädchen

Als Ikone des „heroin chic“ wurde Kate Moss einst inszeniert. Jetzt wundern sich manche, dass sie kokst

Von Andreas Oswald

Jede zweite Person auf der Londoner Fashion Week war in der vergangenen Woche „auf Koks“, schrieb die „Times“. „Das ist die Norm, nicht die Ausnahme.“ Das altehrwürdige Blatt kann die Aufregung um Kate Moss nicht verstehen. Als der „Daily Mirror“ Fotos einer koksenden Kate Moss druckte, rieben sich in der Tat manche Beobachter die Augen. Gab es in den vergangenen Jahren noch irgendjemanden auf der Welt, der glaubte, Kate Moss schnupfe kein Kokain? Das Gegenteil wäre vielleicht eine Schlagzeile: „Kate Moss schnupft kein Kokain“.

Werden wir jemals diese Sensation lesen? Kate Moss war von Beginn ihrer Karriere an das Antimodel. Mit ihren etwas schiefen Beinen und etwas schiefen Zähnen, ihrem ausgemergelten Körper war sie in den 90er Jahren die Ikone des „heroin chic“. Als der damalige US-Präsident Bill Clinton die Bilder sah, trat er an die Öffentlichkeit. Modefotos ausgezehrter Models gäben der Drogensucht einen glamourösen Anstrich, prangerte er an.

Kate Moss wurde vor allem mit einem Foto berühmt. Da liegt sie nackt, nur noch Haut und Knochen, auf einer Couch und wirbt für Calvin Kleins Parfum „Obsession“. Die fahlen Augen, die extreme Magersucht – Kate Moss trägt eine tief beschädigte Persönlichkeit zur Schau. Sie wirkt wie ein Opfer, missbraucht, bedürftig.

Grausam wirkt das vor allem deshalb, weil hier nicht ein Junkie-Mädchen auf der Straße um Geld bettelt, sondern weil eine Industrie mit Milliardenumsatz dieses Mädchen als das Rollenmodell einer ganzen Generation vermarktet hat.

Modemarken haben Kate Moss so inszeniert. Das belegen Werbemotive, das belegen Auftritte auf dem Laufsteg, das belegen die Debatten, die um beides geführt wurden. Dass sie auch im wirklichen Leben Drogen nahm, erfuhr der letzte Beobachter spätestens 1998, als ihr vorübergehender Aufenthalt in einer Drogenklinik bekannt wurde.

Eine Frage ist erlaubt: Warum ist dieses Londoner Model bei dem Modehaus Chanel unter Vertrag? Und bei anderen großen Fashion-Konzernen? Warum wurde es als Gesicht der Winterkollektion von H&M ausgesucht? Der Bekleidungskonzern ist bekannt dafür, dass er Geld für wohltätige Zwecke ausgibt, unter anderem für präventive Drogenprogramme. Er hat eine Werteorientierung, die sich gegen Drogenkonsum richtet. Wo liegt der Fehler?

Es ist einfach, die Industrie zu schelten, aber das lenkt vom eigentlichen Problem ab. Dass sich Millionen Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt mit Kate Moss identifizieren, mit ihrer Beschädigung, ihrem Aussehen, ihrer Figur, ihrem Lebenswandel, das liegt am Charisma dieser Persönlichkeit. Hätte Kate Moss diese starke Ausstrahlung nicht, könnte die Industrie sie auch nicht derart inszenieren. So wurde sie zu einem der erfolgreichsten und wohlhabendsten Models und der Erfolg der Londonerin hielt viele Jahre an. Bis vergangene Woche.

Wessen Schuld ist es eigentlich, dass eine bekannte Drogenkonsumentin zum Leitbild wird? Vielleicht gibt es eine stillschweigende, langsam sich einschleichende Kumpanei zwischen Publikum, Industrie und Prominenten. Wer kann von sich behaupten, nicht Teil dieser Erregungsmaschine zu sein, und sei es nur als Zaungast?

Nach Angaben der Londoner „Times“ wird in angesagten Clubs in London, in denen auch Royals verkehren, gekokst. Dass Kate Moss zu einer großen Partyszene mit einschlägig bekannten Musikern und anderen Berühmtheiten gehört, ist nicht neu. Neu ist auch nicht, dass Drogen immer billiger werden, dass Kokain längst nicht mehr nur von den Reichen und Schönen konsumiert wird, sondern von vielen Frauen und Männern, die wochentags hart arbeiten und am Wochenende ihren Kick haben wollen, die für eine Nacht dabei sein wollen bei der großen Party. Vor allem Letztere identifizieren sich mit Kate Moss – der Frau, die manchmal aussieht, als wäre sie gerade von der Bahnhofsmission gerettet worden und die gleichzeitig so unvorstellbar schön ist, so unvorstellbar berühmt, und dabei noch so unvorstellbar sie selbst ist.

Fast alle haben sich nach den ersten Provokationen des „heroin chic“ langsam an all das gewöhnt. Offenbar auch die Polizei. Oder warum fängt Londons Polizeipräsident Ian Blair erst jetzt an, gegen Kate Moss zu ermitteln? Und warum wird erst jetzt überlegt, ob man ihr das Sorgerecht für ihre dreijährige Tochter entzieht?

Hat etwa irgendjemand dagegen protestiert, dass in TV-Musiksendern immer wieder Bilder des Musikers Pete Doherty laufen – das ist der Freund von Kate Moss –, der, ohne seinen Zustand in irgendeiner Weise zu verbergen, ganz offensichtlich völlig zugedröhnt durch die Gegend wankt. Pete Doherty wird überhaupt nur in benebeltem Zustand gezeigt. Dass er schwer drogensüchtig ist, ist nicht nur bekannt, es ist sein Markenzeichen.

Vielleicht liegt hier der Schlüssel für die Affäre: Pete Doherty ist für unseren Gleichmut ein Tick zu viel. Die Bilder von Kate Moss im Arm dieses Typen überschreiten eine Grenze, von der wir gar nicht mehr glaubten, dass es sie gibt.

Aber es stellt sich eine Frage: Irgendjemand muss instinktiv gefühlt haben, dass es zu viel wurde. Es war kein Moralapostel. Es war einer aus dem engsten Kreis um Doherty und Moss. Wohl nicht aus moralischen Gründen hat er die kompromittierenden Fotos geschossen, eher, weil noch eine Rechnung offen war. Bemerkenswert ist, dass in diesem Meer der Gleichgültigkeit überhaupt einer auf den Gedanken gekommen ist, die Öffentlichkeit könnte sich für die angebliche Enthüllung interessieren, dass Kate Moss Drogen konsumiert.

Wie kommt man auf so eine Idee? Wahrscheinlich war der Mann total zugekokst.

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