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Bremen: Tragisches Versagen der Behörden

Nach dem Fund des kleinen Kevin im Kühlschrank seines drogenabhängigen Vaters stehen die Menschen in Bremen unter Schock. Und je mehr Details ans Tageslicht kommen, desto unfassbarer wird der Fall.

Hamburg - Wie konnte es sein, dass ein zweijähriger Junge bei einem Drogensüchtigen lebt? Schließlich wusste das Jugendamt doch um die Situation in der Familie, hatte nach dem Tod der ebenfalls drogenabhängigen Mutter im Herbst 2005 sogar die Vormundschaft für das Kind übernommen. Bremens Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) zögerte am Mittwoch nicht lange: Sie übernahm die politische Verantwortung für Kevins Tod und trat von ihrem Amt zurück. Tatsächlich scheint es, als hätten die Behörden auf tragische Weise versagt.

Zwar stand Röpke wegen einer Bremer Klinikaffäre ohnehin unter politischem Druck und hätte sich in dieser Woche einem Misstrauensvotum in der Bürgerschaft stellen müssen. Doch im Fall Kevin scheinen die Versäumnisse der ihr untergeordneten Behörden so gravierend, dass Röpke wohl keine Alternative zum Rücktritt sieht, als sie am Mittag vor die Presse tritt. Ihre Erklärung zeugt von persönlicher Betroffenheit. "Ich bin tief erschüttert", erklärt die Senatorin und räumt unumwunden ein, dass der Staat als Vormund die Aufgabe gehabt habe, das Kind zu schützen. "Das ist in diesem Fall tragisch misslungen." Sie selbst habe angesichts dieser Tragweite nicht die Kraft, die Geschehnisse aufzuarbeiten, gesteht Röpke.

Das Handeln kam zu spät

Tatsächlich scheint es, als könnte Kevin noch am Leben sein. Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) persönlich hatte Röpke in seiner Funktion als ehrenamtliches Mitglied eines Kinderheims auf Kevin aufmerksam gemacht. Mitarbeiter des Hauses, in dem der Junge im Alter von neun Monaten zeitweise lebte, hatten Böhrnsen Anfang dieses Jahres ihre Sorgen um den Jungen anvertraut. Der Bürgermeister gab seine Informationen an die Sozialsenatorin weiter. Diese beteuert nun, sie habe besonderes Augenmerk auf den Fall gelegt. Doch ohne Erfolg.

Erst als sich der Vater seinen Auflagen zunehmend entzog - Kevin beispielsweise nicht zu einer Tagesmutter brachte - handelten die Behörden. Als Mitarbeiter des Jugendamts und Polizeibeamte Kevin am Dienstag auf Grundlage eines Gerichtsbeschlusses aus der Obhut seines Vaters holen wollten, war es zu spät. In der Wohnung im Brennpunktviertel Gröpelingen fanden sie in dem Kühlschrank nur noch die Leiche des Kindes. Gegen den 41-jährigen Vater, der sich in einer Methadon-Therapie befindet, ist inzwischen Haftbefehl wegen Totschlags und Misshandlung von Schutzbefohlenen ergangen.

Ermittlungsverfahren gegen den Vater

Schnelle Aufklärung verspricht Sozialsenatorin Röpke nun. Denn viele Fragen sind offen. So ist unklar, wie Kevin zu Tode kam. Zu Meldungen, wonach die Leiche Mangelerscheinungen aufwies, schweigt die Staatsanwaltschaft. Ungeklärt ist auch, wie lange das Kind schon in dem Kühlschrank lag. Ein Arzt war bei einer Untersuchung im Juli der Letzte, der den Jungen lebend sah, wie die Behörden herausgefunden haben. Aufklärung erhoffen sich die Ermittler in den nächsten Tagen vom Ergebnis der Obduktion von Kevins Leiche.

Und es gibt noch einen Punkt, der kaum zu begreifen ist. So haben die Ermittlungsbehörden Kevins Vater schon länger im Visier: Im Zusammenhang mit dem Tod der Mutter wird bereits seit vergangenem Jahr wegen Körperverletzung mit Todesfolge gegen den 41-Jährigen ermittelt. Auch wenn die Hintergründe des Verdachts zunächst unklar bleiben - es stellt sich die Frage, warum Kevin trotzdem beim Vater blieb. Eine Sprecherin Röpkes sagte, das Ermittlungsverfahren sei der Behörde nicht bekannt gewesen.

Bürgermeister Böhrnsen kündigt unterdessen Konsequenzen. an. Das gesamte Hilfesystem bei Kindeswohlgefährdung werde auf den Prüfstand gestellt, erklärt er. Für Kevin kommt das zu spät. (AFP/ von Julia Deppe)

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