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Spiel "Deutschlandreise"

© Kai-Uwe Heinrich

Brettspiel "Deutschlandreise": Wie Ravensburger den Mauerbau wegschwieg

Der Kalte Krieg machte in den 60er Jahren auch vor Gesellschaftsspielen nicht halt. Aus dem Hause Ravensburger gab es eine Deutschlandreise von Freiburg bis ins polnische Stettin - ohne innerdeutsche Grenze.

Von Matthias Meisner

1962, die Mauer stand schon ein Jahr. Damals entschied sich der Ravensburger Verlag zur Neuauflage eines Brettspiels, das erstmals 1934 aufgelegt worden war. Es heißt „Deutschlandreise“ – und ist neben „Fang den Hut“ der Titel, den Spiele-Erfinder aus Oberschwaben am längsten im Programm haben. „Wir fahren durch West- und Mitteldeutschland“, heißt es im Untertitel. Und das ist ein Hinweis darauf, dass schwierige Fragen bedacht werden mussten: Was genau war damals eigentlich Deutschland? Gehörten Bundesrepublik und DDR überhaupt gedanklich längst wiedervereinigt? Oder gar mehr? War in den Schulatlanten nicht sogar das Land in den Grenzen von 1937 verzeichnet?

Die Idee: Mit Würfelglück und Geschick müssen mehrere Städte in Nord und Süd, Ost und West so rasch es geht bereist werden. Wer zuerst wieder am Startpunkt ist, hat gewonnen. Ein simpler Wettlauf, jedoch mit kartografischen Tücken für die Spiele-Erfinder – denn auch die befanden sich mitten im Kalten Krieg.

Mehr als 20 Varianten wurden von dem Spiel im Verlauf von nun 80 Jahren produziert, mehr als zwei Millionen Exemplare sollen im Laufe der Jahre verkauft worden sein. Was an den Varianten aus den 60er Jahren – es sind die ersten bebilderten – auffällt: Der Kartenausschnitt reicht von Freiburg im Südwesten bis Stettin im Nordosten – die innerdeutsche Grenze ist nicht einmal mit einer gestrichelten Linie angedeutet. In der 1967 erschienen Neuauflage ist eine kleine Grafik eingeblockt zu „Deutschland in den Grenzen von 1937“ – also mit Schlesien und Ostpreußen. Was, wie Ravensburger im Rückblick zugibt, „vielleicht auf rechtes Gedankengut“ schließen lässt.

Der Spieleverlag will "raffiniert" vorgegangen sein

Dem sei nicht so, erläutert Tristan Schwennsen, Archivar des Verlages, auf Tagesspiegel-Anfrage. Zwar wird auf dem Spielfeld selbst nur ein Ausschnitt gezeigt, der kurz hinter der Oder-Neiße-Linie abbricht – eingefärbt allerdings in den gleichen Farbtönen, die diesseits auch für die norddeutsche Tiefebene verwandt wurden. „Deutschland reicht also weiter, so ist diese dezente Andeutung zu verstehen.“ Der Verlag behauptet, durchaus raffiniert vorgegangen zu sein. Das bestätigen auch andere. Schon vor Jahren lobte die linke Wochenzeitung „Freitag“ den Ravensburger Verlag für seine Geografie-Entscheidungen: „Dort saßen offenbar stets bedächtige Schwaben, denen mehr an einer haltbaren Auflage gelegen war als an Revanchismus oder irgendwelchen Bekundungen von Nationalstolz.“

Szczecin stand "z. Zt. unter polnischer Verwaltung"

Dass sich viele Deutsche vor 50 Jahren (noch) nicht mit der Teilung abgefunden hatten, ist auch an anderen Details zu ersehen. „Berlin – Deutsche Hauptstadt“ hieß es auf einem Städtekärtchen. Noch pikanter: Bei Stettin, auf gut Polnisch Szczecin, steht der Zusatz „z. Zt. unter polnischer Verwaltung Pommern“. „Weiten Kreisen in der Bevölkerung“ seien diese Andeutungen eines größeren Deutschlands damals „nicht weit genug“ gegangen, argumentiert der langjährige Gesellschaftsspiele-Chef des Verlages, Erwin Glonnegger. „Aufgrund der völkerrechtlichen Kontinuität zwischen dem Deutschen Reich und der Bundesrepublik“ habe „der Anspruch der BRD auf die Gebiete innerhalb der Grenzen von 1937 bis zum Warschauer Vertrag 1970“ bestanden.

1977 wurde die Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik klar markiert

1977 zur Nürnberger Spielwarenmesse erschien dann eine Ausgabe, in der die Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik klar eingezeichnet ist. Ohne Widerstand verlief das damals nicht. Wie es heißt, stapeln sich im Unternehmensarchiv noch die Briefe von empörten Kunden, viele Heimatvertriebene darunter. Viele argumentierten, mit dem Verzicht auf die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie habe der Verlag einem Friedensvertrag vorgegriffen. Nach dem Mauerfall reagierte der nahe dem Bodensee beheimatete Spieleverlag dann rasch. 1991 kam die „Deutschlandreise“ mit neuem Spielplan auf den Markt – erstmals mit Informationen über die 16 alten und neuen Bundesländer. Welche der verschiedenen Spielvarianten sich besonders gut verkaufte, will der Verlag nicht preisgeben.

Während sich vor der Wende mit einem Spiel ohne innerdeutsche Grenze Geschäfte machen ließen, ist es heute offenbar genau anders herum. Aus Anlass von 25 Jahre Mauerfall hat der Ravensburger Verlag dreidimensionale Puzzles mit Motiven der East-Side-Gallery herausgebracht. Mit den Puzzles besitze man „ein Stück deutscher Geschichte“, lobte Kani Alavi von der Künstlerinitiative East Side Gallery. Wer eine „Deutschlandreise“ aus den 60er Jahren sein Eigen nennt, kann das auch von sich behaupten.

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