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Brüchiger Ozeanboden: Ölfeld könnte aufbrechen

Im Golf von Mexiko droht der Gau, befürchten Experten – die Bohrung könnte mitsamt des umliegenden Erdreichs kollabieren.

Es war ein einziger Satz von Barack Obamas Chef-Krisenmanager Thad Allen bei einer Pressekonferenz. Eine Aussage, die eher beiläufig fiel – aber dennoch bei Experten die Alarmglocken schrillen ließ. „Niemand kennt den Zustand des Meeresbodens im Bereich des Bohrlochs über dem Ölfeld“, konstatierte der Küstenwachen-Admiral vergangene Woche. Allen, der im Regierungsauftrag tapfer Optimismus zu verbreiten sucht und glaubt, bis Ende August das weiter heftig sprudelnde Leck schließen zu können, gab damit erstmals einen Hinweis auf eine dramatische Entwicklung, die Experten der Energiebranche mittlerweile als GAU sehen: einen vollständigen Kollaps der Bohrung mitsamt des umliegenden Erdreichs – mit der Folge, dass dann der gesamte Inhalt des Ölreservoirs ungehindert austreten kann und technologisch keine Chance mehr besteht, diesen gewaltigen Ölfluss zu stoppen.

Zwar gilt der Beginn der Hurrikan-Saison mit dem Wirbelsturm „Alex“, der erstmals zu zeitweiligen Unterbrechungen der Entlastungsbohrungen führen könnte, offiziell als derzeit größte Sorge der Verantwortlichen. Doch das „worst case scenario“, also die schlimmste anzunehmende Verschlechterung der Lage, ist derzeit in Experten-Internetforen wie dem Blog „The Oil Drum“, das sich Energiefragen widmet, das dominierende Thema. Alarmzeichen seien bereits auf Aufnahmen eines der Untersee-Roboter zu sehen, die an der Untergangsstelle der „Deepwater Horizon“ im Einsatz seien, heißt es in dem Blog: kleine, an verschiedenen Stellen vom Meeresboden aufsteigende Öl- und Gaswolken in einiger Entfernung zur Bohrung. Das könnte auf erste Risse und wachsende Instabilität im offenbar bereits porösen Meeresboden hindeuten, heißt es. Denn das unter enormem Druck herausschießende Öl mit den darin enthaltenen Sand- und Steinpartikeln wirkt als Erosionsfaktor für die unterirdische Umgebung des Bohrlochs – wie ein riesiges, dauernd eingeschaltetes Sandstrahlgebläse.

Auch für BP scheint ein vollständiger Kollaps des Bohrtunnels nicht mehr nur in den Bereich apokalyptischer Fantasien zu fallen. Denn der mit großen Hoffnungen begleitete „Top Kill“-Versuch, das Pumpen von schwerem Schlamm in das Bohrloch, wurde im Mai mit der Begründung abgebrochen: Man wolle nicht riskieren, die Verschalung des Bohrkanals zu beschädigen und damit dem Öl und Gas neue Austrittswege zu verschaffen. Doch es könnte bereits zu spät sein. Die „Washington Post“ zitiert jetzt den US-Wissenschaftler Bruce Bullock mit der Aussage, die von Forschungsschiffen entdeckten großen Unterwasser-Ölwolken seien vermutlich auf zusätzliche Lecks im Meeresboden zurückzuführen. Und sobald die Geologie des Meeresboden gestört werde, bestehe die Gefahr, dass diese Lecks noch größer werden.

Für manche Experten ist es deshalb mittlerweile ein Wettlauf mit der Zeit, um das Unvorstellbare – das Zusammenfallen des Bohrlochs und seiner Umgebung – noch zu verhindern. Gelingt es rechtzeitig, mit den beiden laufenden Bohrungen das Leck zu schließen? Das mögliche Ausmaß des GAU zeigt eine Größenanalyse des sogenannten „Macondo“-Reservoirs: Die seit dem 20. April in den Golf von Mexiko geströmte Menge umfasst Berechnungen zufolge fünf bis sechs Prozent des Gesamtvorkommens, das von BP – wie Vorstandschef Tony Hayward bei seiner jüngsten Kongressanhörung aussagte – vor Beginn der Unglücksbohrung auf mindestens 50 Millionen Barrel Öl geschätzt wurde.

Der Tropensturm „Alex“ über dem Golf von Mexiko war am Dienstag kurz davor, Hurrikanstärke zu erreichen. Betroffen wären davon der Süden von Texas und der Nordosten Mexikos, teilte das US-Hurrikanwarnzentrum NHC auf seiner Internetseite mit. Wegen „Alex“ hatten die Ölkonzerne BP und Shell bereits vorsorglich Bohrplattformen im Golf von Mexiko räumen lassen. Die Bekämpfung der Ölkatastrophe vor der US-Küste war bislang nicht beeinträchtigt, der Tropensturm zog in sicherem Abstand vorbei in Richtung Mexiko.

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