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Die Schauspielerin Angelina entschied, für sie sei das Risiko zu groß, an Brustkrebs zu erkranken.

© Martial Trezzini, dpa

Brustkrebs: Gefährliche Gene

Die Schauspielerin Angelina Jolie hatte ihren Fall öffentlich gemacht. Eine Studie belegt jetzt, wie drastisch eine veränderte DNA das Brustkrebsrisiko erhöht.

Der Gedanke an Krebs ist für die meisten Frauen spontan mit der Angst verbunden, Brustkrebs zu bekommen. Mit einiger Berechtigung, ist das doch mit 70000 neuen Fällen in jedem Jahr die Krebserkrankung, die sie tatsächlich am häufigsten trifft. Der nächste Gedanke ist dann oft schon der an die Gene. Er drängt sich auf, seit die Schauspielerin und Regisseurin Angelina Jolie vor vier Jahren öffentlich gemacht hat, dass sie Trägerin eines veränderten Brustkrebs-Gens ist und sich wegen der erblichen Belastung beide Brüste entfernen ließ, später dann auch Eierstöcke und Eileiter. Vorsorglich. Weil die genetischen Veränderungen, die einen körpereigenen Reparatur-Mechanismus ausschalten, auch das Risiko erhöhen, Eierstockkrebs zu bekommen.

Tickende Zeitbombe

Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch: Die beiden bisher am besten erforschten und wohl auch wichtigsten „Brustkrebs-Gene“ BRCA1 und BRCA2 kommen nur bei ein bis zwei von tausend Personen in der veränderten Variante vor. In den allermeisten Fällen, in denen Brustkrebs diagnostiziert wird, haben diese beiden Gene ihre Finger nicht im Spiel. Nur fünf bis höchsten zehn Prozent aller Erkrankungen werden ihnen angelastet.

Wenn Frauen eines der beiden Gene in der veränderten Variante geerbt haben, ist das allerdings für ihre persönliche Lebensplanung ausgesprochen relevant. Viele wollen selbst etwas tun, um dem Gefühl, mit einer tickenden Zeitbombe zu leben, nicht wehrlos ausgesetzt zu sein. Das zeigt der Fall Jolie exemplarisch.

10000 Frauen wurden untersucht

Forscher um Antonis Antoniou von der Universität Cambridge haben nun die Geschicke von fast 10.000 Frauen aus verschiedenen europäischen Ländern, Kanada und Australien mit bekannten genetischen Mutationen von BRCA1 oder BRCA2 über Jahre verfolgt, um Genaueres über ihr Krebsrisiko zu erfahren. Die Ergebnisse ihrer in der Fachzeitschrift „JAMA“ veröffentlichten Studie: Über den gesamten Lebenslauf betrachtet ist das Risiko, Brustkrebs zu bekommen, für sie beträchtlich. Es liegt bis zum Alter von 80 Jahren bei rund 70 Prozent. Dabei steigt die Zahl der Neuerkrankungen vom frühen Erwachsenenalter bis zum Alter von ungefähr 50 Jahren rapide, um dann bis zum 80. Geburtstag auf konstantem Niveau zu bleiben. Für eine Frau, die schon auf einer Seite einen Tumor hatte und Trägerin des veränderten BRCA1-Gens ist, liegt die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der nächsten zwanzig Jahre auch in der anderen Brust Krebs zu entwickeln, bei rund 40 Prozent, für Trägerinnen eines veränderten BRCA2-Gens immerhin noch bei 26 Prozent. Krebs an den Eierstöcken tritt im Fall von BRCA1 bis zum 80. Lebensjahr bei 44 Prozent der Frauen, im Fall von BRCA2 bei 17 Prozent der Frauen auf. Ob BRCA1 oder BrCA2 zur Gefahr werden, hängt offensichtlich auch davon ab, an welcher Stelle innerhalb des Gens sich die Mutation befindet.

Krankheit liegt in der Familie

Die Forscher weisen selbst darauf hin, dass ihre Ergebnisse mit etwas Vorsicht zu betrachten sind, da ihre Daten nicht von bevölkerungsweiten Reihenuntersuchungen gesunder Frauen stammen, sondern von Frauen, die sich aufgrund persönlicher Besorgnis testen ließen. Sie stellen eine besondere Gruppe dar, ihr Risiko könnte erhöht sein.

Schon längst bevor es Gentests gab, wussten Frauen, deren Mütter, Tanten und Schwestern bereits in jungen Jahren Brustkrebs bekommen hatten, dass das Leiden bei ihnen in der Familie lag. Die Studie bestätigt nun, dass die Familiengeschichte ein wichtiger Risikofaktor ist und bleibt: Die Gefahr steigt mit der Anzahl der nahen Verwandten, die nicht nur Trägerinnen der veränderten Gene sind, sondern auch Brust- oder Eierstockkrebs bekommen haben.

Viele Faktoren noch unbekannt

„Offensichtlich modifizieren viele Faktoren das Risiko, darunter auch genetische, von denen wir noch nichts wissen“, kommentiert die Gynäkologin Dorothee Speiser, Leiterin der Tumorrisiko-Sprechstunde des Zentrums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs der Charité, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Prinzipiell sollte jede Frau für sich überprüfen, wie es in ihrer Familie aussieht, das ist leider immer noch nicht selbstverständlich.“ Den Jolie-Effekt schätzt sie ausgesprochen positiv ein. „Es haben sich seitdem deutlich mehr Frauen bei uns gemeldet, und bei 90 Prozent von ihnen war das gerechtfertigt.“ Frauen, in deren Familie schon auffallend oft oder auffallend früh Brust- oder Eierstockkrebs aufgetreten ist, zum Beispiel bei drei Frauen aus einer Verwandtschaftslinie oder bei zwei von ihnen vor dem 51. Lebensjahr, aber auch bei einer Frau, die vor dem 36. Lebensjahr erkrankte oder auf beiden Seiten Brustkrebs bekam.

16 Zentren in Deutschland

Ein Problem sieht Speiser darin, dass die Familien heute oft zu klein sind, um Verdacht zu schöpfen – und dass in früheren Generationen vor allem über „Unterleibskrebs“ nur selten offen gesprochen wurde. „Wenn es sich zeigt, dass in einer Familie schon vermehrt Brust- und Eierstockkrebs aufgetreten ist, ist eine genetische Beratung immer sinnvoll“, sagt die Expertin. Neben dem Charité-Zentrum existieren in Deutschland 16 weitere Zentren dafür.

Wird eine genetische Veränderung festgestellt, so kann das weite Kreise ziehen, weil andere Familienmitglieder für sich Klarheit haben möchten. Nur so können sie schließlich der Macht des Schicksals aktiv entgegentreten, indem sie sich operieren lassen. Vorbeugend.

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