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Panorama: Bush sei Dank

Der US-Präsident hat einen Truthahn begnadigt – Thanksgiving, generalstabsmäßig geplant, kann beginnen

Welch eine Revolution – ausgerechnet unter einem konservativen Präsidenten!

Thanksgiving (Erntedank) ist Amerikas wichtigstes Familienfest, bedeutender noch als Weihnachten. 45 Millionen Truthähne wandern Jahr für Jahr in die Backöfen der Nation – und als kleiner Ausgleich wird im Weißen Haus seit Jahrzehnten ein stattliches Federvieh begnadigt. Soweit folgt auch George W. Bush der Tradition, die Harry Truman in den 40er Jahren begründet haben soll. „Dieses Jahr gibt’s eine kleine Änderung“, kündigte Bush kurz vor der Zeremonie im Eisenhower-Verwaltungsgebäude an, streichelte „Marshmallow“, einem schneeweißen 18-Kilo-Brocken mit puterrotem Kopf, das Gefieder und brachte die anwesenden Schülern mit einem Witzchen zum Giggeln: „Marshmallow wollte nicht in Frying Pan Park enden, ich kann es ihm nicht verdenken.“ – Frying Pan („Bratpfanne“) Park ist der Name der Farm in Herndon, Virginia, auf die bisher die begnadigten Truthähne gebracht wurden. Dort gingen sie meistens bald ein.

„Marschmallow“ und der aus Minnesota mitgelieferte Ersatzvogel „Yam“ – die Namen hatten ihnen US-Bürger in einer Internet-Abstimmung gegeben – wurden noch am Dienstag in der ersten Klasse nach Disneyland in Kalifornien geflogen, wo sie die diesjährige Feiertagsparade anführen sollen – eine Entscheidung, die Tierschützer loben: In Disneyland hätten die Truthähne mehr Auslauf.

Bush scherzte noch, was für eine Gnade es doch sein müsse, den Rest des Lebens statt im kalten Minnesota im sonnigen Kalifornien verbringen zu dürfen, dann hob auch er ab: per Hubschrauber auf seine Ranch in Texas. Für mehrere Tage hat die Politik nun Pause.

Im Privatleben bedeutet Thanksgiving aber vielfach höchste Stressstufe. An die Spitze der Nachrichten rücken daher Wetter und Verkehr. Flüge sind ausgebucht, Millionen nehmen über tausend Kilometer im Auto auf sich, um das verlängerte Wochenende mit der Familie zu verbringen. In Neuengland und im Gebiet der Großen Seen hat es zu Beginn der großen Reisezeit geschneit.

Auch in den Küchen der Nation herrscht Ausnahmezustand. Welche Bewährungsprobe für Jungverheiratete, unter den Augen der Turkey-erfahrenen Schwiegermütter den Truthahn genießbar auf den Tisch zu bringen – mit allem üblichen Beiwerk, von der richtigen Füllung (oft Kastanien) und einer saftigen Soße über Kartoffeln oder Kartoffelbrei, Mais und Bohnen bis zu Kürbiskuchen und Süßspeisen. Manchmal kann nur der Anruf bei einer gebührenfreien Turkey-Hotline wie der des Truthahn-Anbieters Butterball verhindern, dass das Fest, auf dem so große Erwartungen lasten, in Tränen, Enttäuschung und Vorwürfen endet. Was tun, wenn der Vogel im Ofen Feuer fängt? Wie taut man ihn am besten auf? Wie viel Garzeit muss man rechnen?

Die amerikanische Tradition des Erntedank, so lernen es die Kinder in der Schule, geht auf das Jahr 1621 zurück. Damals setzten sich puritanische Siedler und Wampanaog-Indianer in Plymouth zusammen, um gemeinsam Dank zu sagen für ein gutes Erntejahr. 1941 wurde Thanksgiving offizieller Feiertag – am darauf folgenden Freitag arbeitet auch niemand, der nicht muss. Nach dem großen Mittagsgelage überträgt das Fernsehen das Thanksgiving-Football- Spiel, abends folgt Teil zwei der Völlerei.

Besonders gedenkt Amerika an Erntedank der Hunderttausenden Soldaten in aller Welt: Familien mit Soldaten halten einen Platz am Tisch frei. 2003 war Bush „spontan“ bei den Truppen im Irak aufgetaucht und hatte, so sah es zumindest im Fernsehen aus, selbst Truthahn aufgetragen. Später kam heraus: Der Vogel war aus Plastik – aber sehr dekorativ. Bei der Regie überlässt das Weiße Haus auch an Thanksgiving nichts dem Zufall.

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