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Cancún: Entgiftungskurort

In Mexiko endet der Klimagipfel – und in der Hauptstadt reden alle über den täglichen Stau, der ihr Leben verpestet. Das soll sich jetzt ändern.

Ramon Moreno Solano gibt Gas. Er jagt seinen feuerroten Gelenkbus aus der Busstation Indios Verdes im Norden von Mexiko City über eine hohe Rampe und auf die Autostraße Richtung Innenstadt. Hinter ihm verschwinden die dicht gedrängten Häuser und Hütten, die sich an den Berghängen von Tlalnepantla hinaufziehen. Vor ihm im Dunst füllt die mexikanische Hauptstadt das gesamte Hochtal aus, zu weitläufig für eine Skyline. Auf drei Spuren des Highways Avenida Insurgentes quält sich kriechend der Verkehr in die Stadt. Und Moreno, der mit einem weißen gebügelten Hemd am Steuer sitzt, saust auf seiner Busspur in der Mitte der Fahrbahn an allen vorbei.

An den ersten Haltestellen füllt sich der Bus. Junge Männer in Businessanzügen, abgekämpfte Bauarbeiter, Frauen auf dem Weg zum Einkauf. Schon bald ist nicht mehr viel Platz an Bord. 163 Passagiere kann Moreno mitnehmen, wie viele wirklich mitfahren, weiß keiner. Hinten wird gedrückt und geschoben, irgendwie geht immer noch einer rein.

Morenos Bus gehört zum Stolz von Mexiko City. Wer immer sich die teuren fünf Pesos für eine Fahrt – das ist ein Zehntel des täglichen Mindestlohns – leisten kann, fährt im neuen Metrobus. Hin und her durchqueren die roten Riesen dieses uferlose Stadtmeer von Nord nach Süd, 30 Kilometer in 45 Minuten und zurück. Sie transportieren jeden Tag 360 000 Menschen, sechsmal so viel wie die leistungsstärkste Berliner Buslinie, der M 29. Sie sind der Beweis, dass die Stadtverwaltung etwas tun kann gegen den Verkehr, an dem die Stadt erstickt, und das Aushängeschild des grün denkenden Bürgermeisters Marcelo Ebrard Casaubon dafür, dass selbst eine Megacity von 20 Millionen Menschen in einem armen Land etwas gegen Verkehrsinfarkt, Energieverschwendung und Klimawandel tun kann. Und nicht zuletzt riefen sie auch der Klimakonferenz, die heute im mondänen Badeort Cancun endet, etwas zu: Nicht in der hoch gesicherten Abgeschiedenheit der internationalen Diplomatie wird der Kampf ums Klima entschieden, sondern in den großen Städten, wo schon jetzt 80 Prozent aller Treibhausgase entstehen.

Morenos Metrobus fährt in die Station „Revolución“ ein: Wie bei einem Bahnhof ist die Plattform erhöht, überdacht und zur Straße hin geschlossen. Nur an vier Stellen öffnet sich die Glaswand zur Busspur, wo die Türen des Busses landen. Wer mitfahren will, muss vorher mit einem Ticket durch eine Sperre gehen. Auf den Bürgersteigen davor gibt es kaum ein Durchkommen zwischen fliegenden Händlern, die bei lautstark plärrender Musik CDs verkaufen, Schmuck und T-Shirts anbieten oder Maiskolben und Würste grillen. Auf dem Mittelstreifen liegt ein barfüßiger Mann und scheint zu schlafen, die Passanten steigen über ihn hinweg und bekreuzigen sich an einem Madonnenbild an der Hauswand. Wenn die Fußgängerampel Grün zeigt, rasen noch eine halbe Minute lang Autos und Motorräder vor ihnen vorbei. Von hier aus fährt eine U-Bahn in vier Stationen zur Stadtmitte, wo an der nächsten Revolution gearbeitet wird.

An der Wand des Büros von Martha Delgado hängt ein Foto der Stadt. Es zeigt einen blauen Himmel und einen weiten Blick auf zwei schneebedeckte Vulkane, die jenseits der Stadt aufragen. Die Vulkane sieht man selten, weil über der Stadt meist eine Smogglocke hängt. So selten, dass dieses Foto ein Datum trägt – wie eine historische Aufnahme: 20. Februar 2010.

Martha Delgado, 40, ist die Umweltministerin der Stadt, in der die Verkehrslage, wer wie lange wohin gebraucht hat und wie er gefahren ist, das Gesprächsthema Nummer 1 ist – noch vor dem Wetter. Und diese Stadt will sie zu einer grünen Stadt machen. Die studierte Pädagogin und Umwelterzieherin legt dabei ein Tempo vor, das der Verkehr auf den Straßen schon lange nicht mehr hat. Dessen Durchschnittstempo, so hat sie ausgerechnet, lag 2007 bei elf Stundenkilometern: „So schnell waren wir schon mal: 1910, als wir noch mit Kutschen fuhren.“

Das soll sich also ändern. Mexiko City hat einen ehrgeizigen Klima-Aktionsplan verabschiedet, der die Emissionen des Molochs um zwölf Prozent bis 2012 senken soll. „So langfristige Planung ist neu in Mexiko“, sagt Delgado. Und es wurde auch vieles erreicht: Das U-Bahn-Netz, mit 450 Kilometern dreimal so groß wie in Berlin, wird erweitert. Alte Busse und Taxis mit dreckschleudernden Motoren wurden gegen neue ausgetauscht, denn die Hälfte der Treibhausgase in der Stadt kommt aus dem Auspuff. Die größte Mülldeponie der Welt, Bordo Poniente im Osten der Stadt, soll nächstes Jahr geschlossen werden und dann aufhören, das Klimagas Methan in die Atmosphäre zu entlassen. Und zwei Metrobuslinien mit eigenen Spuren wurden eingerichtet.

Morenos Fahrt durch die Stadt geht weiter. Rechts von ihm ballt sich jetzt auf drei Spuren der Verkehr: Autos, Taxis, Kleinbusse, rostige Pickups, Schwerlaster mit Baumaterial, mittendrin Polizisten mit Warnjacken, mit viel Getriller und theatralischen Gesten. Auf dem Bordstein, kaum breit genug für zwei Passanten, windet sich eine Schlange von Arbeitslosen über 300 Meter bis zum Arbeitsamt, vorbei an Schuhputzern und Saftverkäufern. Die Tankstellen, billigen Schnellrestaurants, schmuddeligen Bars und Autowerkstätten in den zweistöckigen Häusern entlang der Avenida Insurgentes machen den Banken, Galerien und gläsernen Verwaltungshäusern im Wirtschaftszentrum Platz. Die Polizei hat ein Auto gestoppt, der Beamte nähert sich in schusssicherer Weste vorsichtig dem Fahrzeug. Der junge Fahrer hält gut sichtbar beide Hände am Lenker. Bloß keine hastige Bewegung jetzt.

In einer Stadt, in der auf den Boulevardzeitungen täglich die Bilder von verstümmelten Leichen und abgeschnittenen Köpfen zu sehen sind, in der Armut und Drogen zu täglicher Gewalt führen, ist Ramon Moreno Solano doppelt froh, Fahrer bei Metrobus zu sein: „Ich habe ja kein Geld an Bord“, sagt er und lacht, weil er ja auch keine Fahrkarten verkauft, „da will keiner was von mir.“ Anders als ihm und den anderen 375 Metrobus-Fahrern geht es ihren tausenden von Kollegen auf normalen Busrouten.

Moreno, der 58 Jahre alt ist, hat diese Arbeit selbst 28 Jahre gemacht: „Das Schlimmste ist der Kampf um Fahrgäste und um den Platz auf der Straße“, sagt er. Überfälle auf Fahrer oder sexuelle Attacken auf Frauen in den normalen Bussen sind nicht selten, oft sitzen die Chauffeure zwölf Stunden am Steuer. Er ist froh über seine Sechs-Tage-Woche und seine Acht-Stunden-ohne-Pause-Schicht. Er ist glücklich über Kranken- und Rentenversicherung, auch wenn er mit den 300 Pesos am Tag seine Familie mit den vier Söhnen gerade so durchbringt.

Haltestelle Nueva León. Ein paar Querstraßen westlich sitzt Victor Hugo Páramo Figueroa über seinen Tabellen und runzelt die Stirn. Er ist der oberste Wächter über die Luftqualität in der Hauptstadt, und auch er hat eine Erfolgsgeschichte zu erzählen: Wie die giftigste Stadt der Welt, wo noch Anfang der 90er Jahre die Vögel bei Smog tot vom Himmel fielen, eine Entziehungskur bekam: „Wir lagen bei Ozon, Blei, Schwefel und Feinstaub weit über allen Grenzwerten“, sagt er. „Heute überschreiten wir nur noch jeden zweiten Tag den Grenzwert für Ozon, und Feinstaub ist noch ein Problem.“ Für diesen Teilerfolg hat er drastische Maßnahmen ergriffen: Die Bleischmelzen wurden geschlossen, die Ölraffinerie aus der Stadt vertrieben, das Benzin wurde bleifrei. Für Autos gilt an einem Tag der Woche ein Fahrverbot, manche Schulkinder müssen den Schulbus nehmen, die Eltern dürfen sie nicht zur Schule bringen.

Mexiko City entwickelt sich rasant, es geht wirtschaftlich voran, und das bedeutet für die Klimaschützer immer neue Probleme. Es gibt jetzt 4,5 Millionen Autos in der Region, pro Jahr kommen 200 000 Autos und 300 000 Menschen dazu. Die Stadtregierung baut nicht nur Bus- und Bahnlinien, sondern – was der Umweltministerin Delgado nicht gefällt – auch mautpflichtige Entlastungsstraßen, und der Stadtautobahn wird eine zweite Ebene verpasst.

Moreno ist am Wendepunkt angelangt. Im Süden der Hauptstadt liegt der Campus der Universität, von hier fährt der Metrobus wieder zurück nach Norden. In der Bibliothek der Uni hat das Freiburger Öko-Institut die Beleuchtung neu eingerichtet und den Stromverbrauch um 60 Prozent gesenkt. Dieses Projekt zeigt ein Problem: Mexiko Stadt braucht das Ausland, um seine Klimaziele zu erreichen. Im Metrobus stecken die Gelder eines spanischen Fonds, die Schließung der Mülldeponie finanziert sich nur mit einem ausländischen Investor und staatlichen Subventionen. Und für die Verteilung von zehn Millionen Energiesparbirnen an Haushalte sucht die Stadt noch einen Sponsor. Auch deshalb hat Mexiko zwei Wochen vor dem Gipfel von Cancún hunderte von Bürgermeistern aus der ganzen Welt zu einer eigenen Konferenz versammelt. Ihre Forderung: Weil der Klimawandel in den Städten bekämpft werden muss, müssen die Städte auch direkte internationale Hilfen dafür bekommen. Das finden alle richtig, bis hin zur Weltbank. Mehr Geld gibt es trotzdem erst mal nicht.

Rodolfo Lacy blickt aus seinem rundum verglasten Büroturm auf den Smog der Innenstadt. Und er sieht dabei nicht nur den Dreck. Er sieht auch Probleme. Lacy ist Wissenschaftler vom „Zentrum Mario Molina“, das nicht im Zentrum liegt, sondern am westlichen Stadtrand. Wer also da hin will, muss Morenos Metrobus an der Haltestelle La Piedad verlassen und sich mit dem Taxi eine Stunde lang für zehn Kilometer auf der Stadtautobahn stauen. Lacy lobt das Klimaschutzprogramm von Mexiko City als „großartig“, aber, sagt er: „Das allein vermeidet keine Treibhausgase.“ Denn die alten Taxis und dreckigen Autos und die altmodischen Fabriken würden nur ins Umland verdrängt und nicht abgeschaltet. „Wir nennen es den Cucaracha-Effekt“, sagt er, weil die Probleme ähnlich wie Kakerlaken in die Ecken huschen, wenn das Licht angeht. Eine koordinierte Politik von Hauptstadt und Umland müsste es geben, verlangt also Lacy, aber die gibt es eben nicht, weil in Stadt und Umland andere Parteien regieren.

Auf dem Rückweg passiert Morenos Bus wieder die Haltestelle „Revolución“. Nicht weit von hier hatte Martha Delgado von dem gesprochen, was ihrer Revolution vor allem fehlt: Geld. Und sie hatte erzählt, dass ihr Vorbild an Stadtentwicklung Stockholm sei, eine reiche Stadt mit 500 000 Einwohnern. Und sie hatte die „Ecobici“ gelobt, die neuen Leihfahrräder, die in der Innenstadt stehen: 1114 Fahrräder gegen 4,5 Millionen Autos.

Mit einem lauten Zischen der Druckluft bringt Ramon Moreno Solano seinen Bus an der Endhaltestelle zum Stehen. Für den Fahrer ist Ende der Schicht. Er übergibt seinen Bus, meldet sich beim Chef ab und macht sich auf den Heimweg. Zwei Stunden mühselige Fahrt mit der U-Bahn und den ordinären Bussen ins nördliche Umland von Mexiko City liegen vor ihm. Dorthin, wo weit und breit kein Metrobus fährt.

Bernhard Pötter[Mexiko City]

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