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Mahnmal in Columbine

© dpa

Columbine-Autor Gaertner: "Sie waren nicht dumm"

Zehn Jahre ist es her, dass die Schüler Eric Harris und Dylan Klebold an der amerikanischen Columbine-Schule 13 Menschen während ihres Amoklaufs töteten. Der Autor Joachim Gaertner beschäftigte sich intensiv mit der Bluttat und zeichnete ein Psychogramm der Täter: "Sie sind uns näher, als wir glauben wollen."

Herr Gaertner, Sie haben sich lange mit dem Massaker an der Colombine-Schule vor zehn Jahren befasst. Wie hat sich Ihr Bild der Täter verändert?

Anfangs war das Massaker für mich ein Verbrechen, für das es kein Verständnis geben konnte. Das hat sich verändert. Legitim ist eine solche Tat natürlich nie. Doch je länger ich mich mit den Aufzeichnungen beschäftigte, desto bewusster wurde mir, dass die Menschen Harris und Klebold uns näher sind, als wir glauben möchten. Das war ein schockierender, aber auch faszinierender Prozess.

Wann haben Sie diese Nähe gespürt?

Bei den Aufzeichnungen, die von Mobbing handeln, von dem Verlust von Freunden, bei der Lektüre der nicht abgeschickten Liebesbriefe. Für viele Jugendliche sind das alltägliche Erfahrungen – auch im Umgang mit Popkultur. Diese Jungen haben sich nicht für obskure Splatterstreifen interessiert, sondern für intellektuellen Mainstream: Filme von Quentin Tarantino und Oliver Stone. Die zählen auch zu meinen Lieblingsfilmen.

Haben Sie bei Ihrer Arbeit ein bestimmtes Täterprofil entdecken können?

Nein, die Dokumente offenbaren ein sehr widersprüchliches Bewusstsein. Eric Harris schreibt zum Beispiel: „Ich hasse alle Lügner, aber ich weiß, ich bin selbst einer.“ Sie waren nicht dumm. Ihre Tat folgt einer gewissen Logik. Doch das Bewusstsein und die innere Logik drifteten auseinander. Die Gründe, warum Gewaltfantasien in Realität umschlagen, liegen sicher in der Persönlichkeit des Täters.

Nach einer solchen Tat wird immer die Frage nach der Ursache gestellt.


Das ist ein verständliches Bedürfnis. Allerdings sind die Antworten, die wir geben können, nur sehr vage. Ich glaube nicht, dass man eine Tat wie Columbine, Winnenden oder Erfurt nur mit Mobbing oder Zurückweisung erklären kann. In der Diskussion darüber herrscht allerdings keine Einigkeit. Kürzlich sprach ich mit einer Psychiaterin. Ihrer Meinung nach geschehen solche Taten wie Naturkatastrophen. Das sei ein psychischer Mechanismus, in den man nicht eingreifen könne. Da habe ich Zweifel. Anhand der Dokumente kann man eine Entwicklung nachvollziehen.

Wie sieht die aus?


Über Jahre hinweg haben sich die Attentäter von Columbine immer weiter abgeschottet. Die Ohnmacht hat sich in Machtfantasien gewandelt, und über Jahre hat sich Hass angestaut.

Warum ist diese Entwicklung für Außenstehende so schwer zu erkennen?


Weil es immer die Außenseiter sind. An die ist schwer ranzukommen, selbst wenn es Hinweise gibt. Die Columbine- Täter drehten vor ihrer Tat ein Schulvideo, in dem sie die Tat vorwegnahmen. Einem besorgten Lehrer sagten sie: „Das hat nichts mit der Realität zu tun.“ Der Lehrer ließ es dabei bewenden.

Gibt es heute eine größere Sensibilität?

Ja. Das Bewusstsein ist ein anderes. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Anzeichen rechtzeitig bemerkt und Maßnahmen ergriffen. Ob dabei tatsächlich Anschläge verhindert wurden, weiß man natürlich nicht.

Weshalb ist die Frage nach dem Warum so wichtig?

Die Frage ist wichtig, um ein gesellschaftliches Verständnis für die Tat zu bekommen. Ein Amoklauf sagt ja auch etwas über unsere Kultur aus. Es ist sicher kein Zufall, dass diese Taten fast ausschließlich von jungen Männern verübt werden, und dass sie weitgehend auf den von protestantischer Leistungsethik geprägten Kulturraum beschränkt sind. Auf eine perverse Weise sind solche Taten also Ausdruck unserer Kultur. Inwieweit die Ursachenforschung der Prävention dient, ist jedoch unklar.

Zur Vorbeugung werden nach einem Amoklauf immer wieder Computerspielverbote diskutiert und eine Verschärfung des Waffengesetzes. Ist das sinnvoll?


Es kann nicht schaden, ein paar Waffen weniger auf der Welt zu haben. Aber ich glaube nicht, dass das zu weniger Amok- läufen führt. Wer wirklich will, kommt an Waffen. Letztendlich ist es auch egal, aus welchen Medien die Täter ihre Fantasien beziehen. In Computerkriegsspielen wie dem oft genannten Counter-Strike stecken keine grundsätzlich anderen Ideen als in Filmen und Büchern. Problematischer ist ein medialer Dauerbeschuss.

Auffällig ist das Bedürfnis der Columbine- Täter, ihre Tat nach Vorbildern aus Filmen und Computerspielen zu inszenieren.

Stimmt. Und weil den Tätern das auch gelang, wurde Columbine so sehr zum Vorbild für andere Amokläufer. Sebastian Bosse, der Attentäter von Emsdetten, hatte in sein Tagebuch geschrieben: „Eric Harris ist mein Gott“.

Was geht während der Tat in Amokläufern vor?

Das ist schwierig nachzuvollziehen, weil wir so wenige Dokumente haben. Über Columbine wissen wir, dass die Täter unterschiedlich gehandelt haben. Klebold tötete mit Freude, Harris mit soldatischer Ruhe. Und nach dem Massaker in der Bibliothek liefen die beiden 40 Minuten durchs Haus und taten nichts. Warum, weiß man nicht. Aber es liegt nahe, dass Enttäuschung eingesetzt hat: Das erlösende Finale blieb aus. Also wurden sie wieder zu Kindern, die mit ihren Waffen rumlaufen wie mit Spielzeug, und nicht wissen,was sie damit machen sollen.

Deutsche Behörden sind beim Umgang mit den Dokumenten von Amokläufern viel restriktiver als amerikanische. Ein Buch wie das Ihre wäre über Winnenden oder Erfurt nicht möglich. Bedauern Sie das?

Für beide Positionen gibt es Gründe. In Erfurt gab es eine quälende Diskussion über den Tathergang, noch verstärkt durch den unpräzisen offiziellen Untersuchungsbericht. Für die Familien der Opfer muss es sehr belastend sein, nicht zu wissen, wie ihre Partner oder Kinder gestorben sind. In Columbine sind Opferfamilien dafür eingetreten, alle Dokumente zu veröffentlichen. Wahr ist aber auch, dass die Veröffentlichung Nachahmungstätern eine Blaupause lieferte. Aus dem Widerspruch kommt man nicht raus.

Vor genau zehn Jahren erschossen Eric Harris und Dylan Klebold an der Columbine Highschool im amerikanischen Littleton 13 Menschen und töteten anschließend sich selbst. Die Tat gilt bis heute als Inbegriff des Schulamoklaufs. Der Autor Joachim Gaertner hat sich intensiv mit dem Fall beschäftigt. In seinem Doku-Roman „Ich bin voller Hass – und das liebe ich“ stellt er Dokumente und Aufzeichnungen der Attentäter zusammen und zeichnet so ein Psychogramm der Amokläufer. Mit ihm sprach Moritz Honert.

Interview von Moritz Honert

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