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Panorama: Concorde: Leben mit der Angst (Leitartikel)

Nun sehen wir wieder die Bilder von weinenden Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben, deren Leben auch im wahren Sinne des Worte in Trümmern liegt. Wir leiden mit.

Nun sehen wir wieder die Bilder von weinenden Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben, deren Leben auch im wahren Sinne des Worte in Trümmern liegt. Wir leiden mit. Wir sind fassungslos, dass so etwas passieren kann. Wir fühlen uns hilflos. Es mag sein, dass wir uns den Flug mit einer Concorde nie hätten leisten können, aber das sind die Gedanken im ersten Moment. Hinter dem Erschrecken und der Trauer finden wir: unsere Urangst.

Jetzt geschieht, was immer geschieht. Wir reden, wir erörtern, wir suchen den Rat der Experten. Hat der Pilot versagt? Hat die Konstruktion Mängel? War die Maschine überaltert? Das ist gut so, denn wir benötigen die Antworten, weil es um Vorbeugung geht, um Risikoverminderung. Technik lernt auch durch Unglücke. Aber wir stellen die Fragen auch, weil es uns im Innersten drängt, eine Erklärung zu finden. Weil wir wieder Halt gewinnen wollen. Denn je mehr wir wissen, je mehr wir leisten, je weiter wir kommen, desto weniger wollen wir mit Unerklärlichem leben.

Wir alle leben mit dem Risiko. Die Rede von der Risikogesellschaft gehört im gesellschaftlichen Diskurs längst zum guten Ton. Aber wenn ein Unglück wie jetzt in Paris passiert, dann sind wir mit unserem Latein am Ende. Der Wucht des Ereignisses hält die Hülle unserer Zivilisationsroutine, unserer Einsichten und Überzeugungen nicht stand. Das heißt nichts anderes, als dass wir uns nicht wirklich klarmachen, was es heißt, mit dem Risiko zu leben. Da ist es viel leichter, denen mit der einfachsten, der lautesten Zivilisationskritik Recht zu geben: Der Tourismus ist schuld! Die Maschinen sind schuld! Der Mensch darf nicht mit Überschall fliegen!

Aber der Absturz der Concorde ist nicht die Strafe für den Wunsch nach einer Reise mit höherer Geschwindigkeit. So wie die Katastrophe mit dem ICE der Bahn in Eschede keine Strafe für eine Hybris war, immer noch schneller sein zu wollen. Das Unglück von Paris ist auch nicht die Folge des Tourismus-Betriebs, der uns in alle Winkel der Welt bringt. Es ist nicht der Fluch der Globalisierung, die Daimler-Chef Jürgen Schrempp dazu zwingt, zweimal in der Woche zwischen Stuttgart-Möhringen und New York hin- und herzufliegen. Denn es ist nicht so, dass wir im Kampf mit unbeherrschbaren Entwicklungen unterlegen wären. Es kommen keine irreversiblen Entwicklungen über uns, denen wir vollkommen hilflos ausgeliefert wären.

Die Concorde ist 24 Jahre lang ohne verhängnisvolle Unfälle geflogen. Was die Ursache für den Absturz war, werden die technischen Experten ermitteln. Und es ist zu hoffen, dass ihre Ergebnisse zu Verbesserungen führen, zur Vorbeugung wie zur Risikoverminderung. Davon werden wir alle profitieren.

Für alle, die jetzt bei dem Unglück Angehörige verloren haben, einen Teil ihres Lebens, bleibt es dennoch bitter, wenn ihnen jetzt gesagt wird, dass wir mit dem Risiko leben müssen, auch mit Katastrophen. Doch es hilft nichts: Das ist der Preis der Zivilisation, ohne die wir nicht leben können und, wenn wir ehrlich zu uns sind, in Wahrheit ja auch nicht mehr leben wollen. Die Fluggesellschaft British Airways lässt ihre Concorde weiterfliegen. Weil die Gesellschaft skrupellos ist, völlig ohne Empfindungen? Nein, weil sie nach allen Überprüfungen keinen Anlass sieht, ihre Maschinen am Boden zu lassen. Sie misst Technik an technischen Maßstäben.

Wir sind nicht hilfos, wir finden heraus, was in Paris geschehen ist. Doch eines wissen wir auch: Solange Flugzeuge starten und landen, wird es Abstürze geben. Hoffentlich immer seltener. Das Erschrecken bleibt. Die Trauer bleibt.

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