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Panorama: Concorde: Wie im Flug

Am Mittwoch jährt sich die Concorde-Katastrophe von Paris. Unter den 113 Opfern befanden sich 100 deutsche Urlauber, davon acht Berliner und zwei Potsdamer.

Am Mittwoch jährt sich die Concorde-Katastrophe von Paris. Unter den 113 Opfern befanden sich 100 deutsche Urlauber, davon acht Berliner und zwei Potsdamer. Zwar liegt der Abschlussbericht der Ermittlungs-behörden noch immer nicht vor, doch gilt die Ursache für den Absturz des Überschalljets als geklärt. Mit insgesamt rund 300 Millionen Mark erhielten die Hinterbliebenen der Passagiere kürzlich das höchste jemals nach einem Flugzeugunglück in Europa gezahlte Schmerzensgeld. Schockiert hat viele der Betroffenen, dass ausgerechnet jetzt die erneute Flugerprobung der seit einem Jahr stillgelegten Concorde begann.

Am 25. Juli 2000 sind 100 deutsche Urlauber auf dem Pariser Charles de Gaulle-Flughafen erwartungsfroh an Bord der Concorde "Sierra Charlie" gegangen. Bei der Deilmann-Reederei haben sie eine Luxusreise gebucht. In dreieinhalb Stunden soll sie der Air France-Charterflug AF 4590 mit doppelter Schallgeschwindigkeit nach New York befördern. Dort wartet im Hafen bereits das Kreuzfahrtschiff "MS Deutschland", um in Richtung Karibik abzulegen.

Es ist 16.42 Uhr, als die Concorde ihre Startfreigabe erhält. Die vollbesetzte Maschine, deren Passagiere viel Gepäck mit sich führen, hat ihr maximales Startgewicht von 185 Tonnen. Aus diesem Grunde sind die 13 Tanks bis zum Rand mit 119 000 Litern Kerosin gefüllt. Die vorberechnete Abhebegeschwindigkeit liegt bei 368 Stundenkilometern. Beim Start sieht der Fluglotse im Tower einen Feuerschwall hinter der linken Tragfläche. Die Concorde gewinnt keine Höhe, das Triebwerk Nummer 2 fällt aus, Nummer 1 verliert an Leistung. Keine Chance für eine Umkehr nach Charles de Gaulle, die einzige Rettung könnte der nur acht Kilometer voraus liegende, alte Pariser Flughafen sein. "Le Bourget, le Bourget", ruft der Co-Pilot, dann zeichnet das Tonband des feuerfesten Cockpit Voice Recorders die nüchterne Feststellung von Flugkapitän Christian Marty auf: "Zu spät". 74 Sekunden nach der ersten Feuerwarnung stürzt der Jet auf ein Hotel bei der Ortschaft Gonesse, für die Menschen an Bord und vier Personen am Boden gibt es keine Überlebenschance.

Zunächst wird vermutet, dass Teile eines geplatzten Reifens die Tragfläche durchschlagen und einen Tank beschädigt haben. Denn wie bekannt wird, hatte es solche Fälle - ohne katastrophale Folgen - in der Vergangenheit schon mehrfach bei der Concorde gegeben. Dann bringt der Zwischenbericht der französischen Flugunfall-Untersuchungsbehörde Bureau Enquetes-Accidents (BEA) neue Erkenntnisse. Danach hat die Wucht des Aufpralls des Gummiteils selbst die Tragfläche nicht durchlöchert, aber eine "Schockwelle" im Kerosin ausgelöst, die den Tank von innen bersten ließ.

Laut BEA-Chef Paul-Louis Arslanian besteht "Gewißheit" darüber, das der Concorde-Reifen durch ein Metallteil zum Platzen gebracht wurde, das offensichtlich eine zuvor gestartete DC-10 der US-Airline Continental verloren hatte. Dort fehlte später eine erst 16 Tage zuvor ausgetauschte Lamelle der Schubumkehrvorrichtung eines Triebwerkes. Das in Paris gefundene Teil war nach Berichten in der Fachpresse offenbar bereits mehrfach repariert worden. So hat möglicherweise der Versuch, ein paar Dollar zu sparen, die Kettenreaktion ausgelöst, die zur Katastrophe führte. Air France hat deshalb Klage gegen Continental Airlines erhoben.

Die Anwälte der Hinterbliebenen konnten erreichen, dass sich die Versicherungen der Air France bei der Höhe des Schmerzensgeldes an der amerikanischen Rechtsprechung orientierten. Diese sieht wesentlich höhere Entschädigungen vor als die europäischen Gesetze. Weil der Zielort New York hieß, hatten sie mit Klagen vor US-Gerichten gedroht. Angehörige haben jetzt den Verein "Crash - Gesellschaft für Opferrechte" gegründet, der die Betroffenen von ähnlichen Katastrophen unterstützen will.

Im Pariser Inferno starb indessen auch der Mythos der "Königin der Lüfte". Denn mit einem Durchschnittsalter von 24 Jahren zählen die zwölf verbliebenen Concordes zu den Oldtimern am Himmel und haben sich schon längst als verwundbar erwiesen. Zwar haben die Maschinen nur geringe Gesamtflugzeiten, doch müssen sie extreme Belastungen verkraften. So erhitzt sich während des Überschallfluges die Bugspitze auf etwa 127 Grad Celsius. Der 62 Meter lange Rumpf "wächst" durch er Erwärmung um 15 bis 25 Zentimeter. Wegen zunehmender Materialermüdung unterliegt die Concorde-Flotte schon länger besonderen Kontrollen. So brachen bei der britischem "Alfa Charlie" 1998 binnen eines halben Jahres zweimal während des Fluges Teile von Steuerflächen ab, einen Tag vor dem Unglück in Paris zog British Airways einen Jet wegen eines festgestellten Haarrisses aus dem Verkehr. Wirtschaftlich hat sich die Concorde, deren Technologie aus den 60er Jahren stammt, längst als Flop erwiesen.

Nur die Airlines der beiden Herstellerländer Frankreich und Großbritannien sahen sich gezwungen, den Überschalljet zu kaufen und 1976 in Dienst zu stellen. Alle anderen Interessenten traten wegen der hohen Kosten wieder zurück. Reichte das Überschall-Streckennetz zunächst von Rio de Janeiro bis Singapur, blieb zuletzt neben den täglichen Flügen von London und Paris nach New York nur noch eine British Airways-Verbindung nach Barbados. Denn die vier Olympus-Triebwerke - ursprünglich für den Vulcan-Atombomber entwickelt - schlucken nicht nur 25 000 Liter Kerosin pro Stunde, sondern produzieren soviel Lärm und Abgase, dass die Concorde in den meisten Ländern Flugverbot hat.

Rainer W. During

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