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Hat die Massen im Griff. Der Bühnenauftritt von Hatsune Miku ist perfekt, kein falscher Ton kommt ihr über die Lippen.

© Crypton Future Media, INC. www.piapro.net /(c) SEGA

Cyber-Star in Japan: Ohne Leib und Seele

Die Sängerin Hatsune Miku ist in Japan ein Star – allerdings ist sie kein Mensch.

Das Stadion tobt, als die Sängerin von unten langsam auf die Bühne gefahren wird. Die Fans strecken Leuchtstäbe in die Dunkelheit, kreischender Jubel übertönt fast die Musik in der Arena. Hatsune Miku, das Mädchen mit den grünen Haaren, beginnt zu singen, ihre tadellose Stimme trifft wie immer alle Töne. Ihre Band spielt mit, ein aufregendes Konzert. Aber bei aller Perfektion kann jeder erkennen: Ein Mensch ist hier nicht der Star.

Durch Lichteffekte wird Hatsune Miku in so etwas wie Lebensgröße auf die Bühne gestrahlt. Schnell zeigt sich dabei ihre Vielseitigkeit, denn sie kann quasi alles singen: von langsamen Balladen über schnellen Rap zu hartem Metal oder seichtem Pop. Beim grünhaarigen Superstar ist für jeden etwas dabei. Gewissermaßen ist es auch diese Eigenschaft, die Hatsune Miku zu einem der beliebtesten Popstars Japans macht. Der Trick dahinter: Es handelt sich um eine Software, durch die sich für die Figur Lieder und Choreografien einstudieren lassen. Technisch nennt sich das Prinzip Vocaloid. Die Betreiberfirma liefert dazu die Stimme, die in allen Tonlagen singen kann, und den Avatar, also das grafische Aussehen der Figur. Die Lieder hingegen kommen weder von der willenlosen Hatsune Miku noch von ihrer japanischen Urheberfirma Crypton Media Future. Sie kommen von den zahlreichen Fans.

Und die sind reichlich. Auf sozialen Netzwerken wie Facebook hat Miku mehr als eine Million, die Mehrheit kommt aus Japan. Große Konzerthallen füllt Hatsune Miku mit ihren Auftritten auch, mittlerweile sogar im Ausland. So werben weltweit agierende Konzerne wie Google und Toyota mit der Erscheinung des Avatars. Schließlich ist der nicht nur berühmt, sondern produziert auch wie am Fließband: laut den Urhebern hat Miku schon mehr als 100 000 Lieder gesungen. Jeden Tag dürften neue dazukommen.

Die Idee für den Pop-Avatar basiert auf einer Technologie der Yamaha Corporation, die neben Motorrädern, Musikinstrumenten und HiFi-Produkten auch Software entwickelt. Im Jahr 1998 hatte Yamaha ein erstes Programm entworfen, mit dem Stimmen synthetisiert werden konnten. Sechs Jahre später brachte Crypton Media Future mit dieser Technik seine erste Popfigur heraus. 2007, mit dem weiterentwickelten Software-Synthesizer Vocaloid, folgte Hatsune Miku. Übersetzt bedeutet der Name in etwa: „der erste Klang aus der Zukunft“.

„Miku kam auf den Markt, als Youtube gerade beliebt wurde. Das war gutes Timing“, sagt Kanae Muraki, Marketingchef von Crypton Media Future. Dass das schlanke, grünhaarige Mädchen zu einem Erfolg werden würde, sei ihm schnell klar gewesen. Die Stimme basiere schließlich auf der in Japan beliebten Sprecherin Fujita Saki, die aus diversen Animeproduktionen bekannt ist. „Hatsune Mikus Vorgängermodell, Meiko, hatte sich kommerziell auch schon gelohnt, aber mit der besseren Software kann die tolle Stimmgrundlage viel besser benutzt werden“, sagt Muraki. Viele Fans haben daran Freude. „Mir gefällt Hatsune Miku, weil sie mir beim Kreativsein alles erlaubt“, sagt Hikaru Yamada. Der Student hat sich das Softwarepaket, das in englischer Sprache seit vergangenem Jahr auch in Deutschland erhältlich ist, besorgt und komponiert damit Lieder. Mehr als 20 verschiedene hat er schon fertig und auf Musikplattformen hochgeladen. Ein richtig beliebter Song ist noch nicht dabei herausgekommen, aber er will weiter üben. „Vielleicht gelingt mir mal ein Stück, das dann auf einem der Konzerte gesungen wird.“ Das wäre traumhaft, sagt Yamada, schließlich würde er so irgendwie Teil des Popstars. „Bei welchem anderen Interpreten wäre das möglich?“

Maschinen ersetzen längst Arbeitskräfte, helfen Menschen in der Pflege. Aber ist ein Algorithmus wie Hatsune Miku auch so gut wie ein echter Popstar, den junge Menschen anhimmeln, so sein wollen wie er? Ein Interview hat Miku zum Beispiel noch nie gegeben, auch keinen Skandal verursacht. Kein Drogenmissbrauch wie bei Justin Bieber, keine vermeintlich skandalösen Outfits wie bei Lady Gaga oder Alkoholtiraden wie die von Miley Cyrus. Hatsune Miku bleibt auf ewig süß, man könnte auch sagen: steril. Und Kritiker beklagen außerdem, dass die Figur das Ende des Künstlers auf der Bühne bedeute. Immerhin regiert hier auch offiziell keine Menschlichkeit mehr, sondern ausgefeilte Technik. Muraki wehrt sich gegen solche Vorwürfe. „Manchmal erhalten wir Beschwerden, dass wir einen Fake-Künstler entwickelt haben. Aber das sind Leute, die sich mit Miku nicht auskennen.“ Denn Muraki habe nie behauptet, Hatsune Miku sei eine Künstlerin. „Wir nennen sie ,virtuelle Sängerin‘. Die Kunst kommt von all den Menschen, die ihr den Input geben.“

Dass Hatsune Miku dennoch mit herkömmlichen Künstlern verglichen wird, ist unvermeidbar. 2008 erhielt sie als erste synthetische Figur den in Japan angesehenen Seiun-Preis, der normalerweise für Science-Fiction-Autoren gedacht ist. Außerdem kann Miku eben auch vieles besser: Sie liegt bei keinem Ton daneben, kann schneller und höher singen als jeder Mensch, gerät nie aus der Puste. Ein Fehler auf der Bühne könnte aber trotzdem passieren – an Gitarre, Schlagzeug spielen im Hintergrund Menschen. Daran wird sich auch nichts ändern, beteuert Muraki. Sonst könnte man bei Hatsune Mikus Auftritten nämlich wirklich nicht mehr von Liveshows sprechen.

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