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Panorama: Das Chamäleon

Die oscargekrönte Schauspielerin Charlize Theron wechselt vom Engel zum Monster – und bleibt glaubwürdig

Alice Wuornos ist ein großer, ungelenker Trampel. Die Hände in den Hosentaschen, eine Zigarette im Mundwinkel, stapft sie ihrer Wege; und wäre sie nicht so groß, würde man sie glatt übersehen: Ihr nach unten dünner werdendes Haar ist von einer blassen Nichtfarbe, die nur entfernt an Blond erinnert, ihr Teint ist unrein und mit Sommersprossen gesprenkelt. Und wenn sie den Mund nicht zu einem schmalen Strich geschlossen hat und voller Verachtung nach unten zieht, dann werden ihre unregelmäßigen, ungepflegten Zähne sichtbar.

Alice trägt bollerige Hosen, T-Shirts und Blousons, und wenn sie einmal einen Rock anhat, wirkt sie verkleidet. Ihr Arbeitsplatz ist die Straße. Nachts, wenn man sie nicht so gut erkennen kann, steht sie am Highway und lässt sich von Männern mitnehmen, die auf eine schnelle Nummer aus sind. 30, 40 Dollar kommen dabei für sie herum. Wenn sie Glück hat. Wenn sie Pech hat, wird sie vergewaltigt. Wäre die Beleuchtung besser, würden ihre ehrlichen Kunden vielleicht den Abscheu vor ihnen aus Alices Zügen lesen können und Angst kriegen. Die Frau, die geradezu mit Inbrunst diese Prostituierte und spätere Mörderin aus Florida verkörpert – eben so, dass man Verständnis und manchmal sogar Sympathie für sie empfindet –, könnte ihr im wirklichen Leben nicht unähnlicher sehen: Charlize Theron ist eine strahlende, beinahe schon unwirkliche Schönheit, langgliedrig, elegant und charmant, die mit nichts, noch nicht einmal ein paar überflüssigen Pfunden, an ihre Filmrolle erinnerte, als sie im Februar zur Berlinale-Aufführung von „Monster“ nach Berlin kam.

Sie hatte ein persönliches Motiv

Charlize Theron hat sich lange mit der Geschichte der realen Alice Wuornos befasst, die in den Jahren 1989/90 sechs Männer umbrachte und 2002 in Florida hingerichtet wurde. Man darf sie nicht danach fragen, aber irgendwann ist doch durchgesickert, dass Charlize Theron vielleicht auch ein ganz persönliches Motiv hat, gerade diese Rolle zu spielen: Als sie 15 war, erschoss ihre Mutter vor ihren Augen ihren betrunkenen und gewalttätigen Ehemann. Sie wurde nicht verurteilt, da sie in Notwehr handelte. Noch heute haben Mutter und Tochter ein enges Verhältnis. Sie fühle sich als Beschützerin ihrer Mutter, hat Charlize einmal zu Protokoll gegeben. Charlize Theron, am 15. August 1975 auf einer Farm in der Gegend von Benoni in Südafrika geboren, ist ein Einzelkind. Sie machte eine Ausbildung in klassischem Ballett und arbeitete bereits mit 14 als Model. Da man in Südafrika weder Bedarf an Models noch an Balletttänzerinnen hatte, reiste sie schon als junges Mädchen in die USA und nach Europa, tanzte hier und da ein bisschen und jobbte als Fotomodell. Mit achtzehn wurde sie von der Mutter nach Los Angeles geschickt, um in Hollywood zu reüssieren. Sie fand einen Agenten, kämpfte und bekam 1995 ihre erste Rolle. Bei uns konnte man sie 1997 zum ersten Mal sehen: In „Im Auftrag des Teufels“ spielte sie die Ehefrau eines jungen, ehrgeizigen Anwalts (Keanu Reeves), der dem Teufel seine Seele verkauft hat, um Karriere zu machen. Al Pacino war ein so charismatischer Satan, dass selbst der bereits profilierte Keanu Reeves Mühe hatte, sich zu behaupten, Theron in ihrer ohnehin nicht besonders großen Rolle blieb blass.

Das änderte sich schlagartig mit Lasse Hallströms Verfilmung von John Irvings Roman „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ (1999), in der Theron das Mädchen Candy war, in das sich der Waisenknabe Homer Wells (Tobey Maguire) unsterblich verliebte. Die zwischen Apfelbäumen und Hummerreusen in der wilden Küstenlandschaft Maines aufgewachsene Candy musste dem Jungen als Inkarnation alles Begehrenswerten erscheinen, denn sie leuchtete: Charlize Theron mit goldenem Haar, roten Wangen im blassen Gesicht, weißen Zähnen wirkte wetterfest und zart zugleich, war klug und liebevoll, mütterlich, weich und lebenslustig – die perfekte Besetzung für ein Mädchen, das zu toll ist, um wahr zu sein, jedenfalls aus der Sicht eines Waisenjungen.

Im Jahr darauf wurde Theron von Robert Redford entdeckt. In seinem ein wenig mystischen Golf-Film „Die Legende von Bagger Vance" besetzte er Charlize Theron als Society-Girl der zwanziger Jahre, und die eleganten Kleider und Hüte passten ihr wie angegossen. Aber sie war wieder nur eine Nebenfigur, die Partnerin von Matt Damon, der einen kriegstraumatisierten Golfspieler gab, der seinen Schwung verloren hatte. Charlize musste warten, leiden und motivieren, aber richtig zum Zug kam sie nicht. Im Jahr 2001 spielte sie in „Sweet November“, wieder als Partnerin von Keanu Reeves, eine chaotische, aber ebenfalls lebenslustige Späthippie-Frau, die einen eiskalten Geschäftsmann zunächst das Fürchten, dann das Lieben und schließlich das Sterben lehrt. So richtig passte Theron jedoch nicht in das kuschelige Nest voller Mobiles, Kerzen und Perlenvorhänge, das die Filmarchitekten ihr gebaut hatten. In „Monster“ hat Theron alles Niedliche, Nette, Süße und Zarte abgelegt. Und sie hat auch keinen Partner, sondern eine Partnerin: Christina Ricci als Selby, die große Liebe in Alices Leben. Theron will, das merkt man bei diesem Film, viel mehr als eine zwar schöne, aber meistens doch rein dekorative Frau sein. Sie hat sich an einer TV-Kampagne gegen männliche Gewalt beteiligt und findet im Übrigen, dass die USA endlich einen weiblichen Präsidenten brauchen. Hillary Clinton zum Beispiel.

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