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Panorama: Das Ende der Unschuld

Der Künstler Graham Ovenden muss wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen ins Gefängnis.

London - Die Skandalserie um britische Kulturschaffende und Pop-Celebrities, die im Greisenalter von ihrer pädophilen Vergangenheit eingeholt werden, reißt nicht ab. Es fing an mit BBC Star-Discjockey Jimmy Savile. Kaum war er im goldenen Sarg begraben, wurde seine 50-jährige Karriere von Unzucht und Pädophilie aufgedeckt. Inzwischen hat die Savile-Sondereinheit von Scotland Yard „Operation Yewtree“ zwölf mehr oder weniger Prominente verhaftet – die Namen bleiben meist anonym. Unabhängig davon wird als einer der ersten dieser Althippies der Maler und Fotograf Graham Ovenden ins Gefängnis kommen. Ein Gericht in Truro in Cornwall befand den einst prominenten 70-jährigen Künstler für schuldig, Minderjährige sexuell missbraucht zu haben, in einem Fall besonders schwer.

Ovendens Landgut Barley Splatt beim idyllischen Bodmin-Moor war in den siebziger und achtziger Jahren eine viel besuchte Künstlerkolonie, in der, wie in mancher Hippiekommune jener Tage, die Rückkehr zur Natur propagiert und der paradiesische Stand der Unschuld nachgelebt wurde. Bei Ovenden, Spezialist für Fotografie und Malerei nackter Mädchen in der Tradition viktorianischer Fotografen wie Lewis Carrol oder Julia Margaret Cameron, gehörte dazu, dass den Kindern bei Modellsitzungen die Augen verbunden wurden und er sich unter dem Vorwand, man mache Schmeckspiele, oral befriedigen ließ. Von einem Mädchen ließ er sich beim gemeinsamen Bad den Penis waschen. Die Mütter der Mädchen, laut der „Daily Mail“ meist Alleinerziehende, sahen jedenfalls nicht genau hin. Es habe ihr nichts ausgemacht, ihre Tochter von Ovenden nackt fotografieren zu lassen, sagte eine vor Gericht, „so war das Leben eben in Barley Splatt“.

Auf Debatten über bürgerliche Prüderie und die Freiheit der Kunst ist Ovenden spezialisiert. „Pervers sind diejenigen, die Feigenblätter malen, nicht die sie abnehmen“, lautet eine seiner Parolen. Als die amerikanische Polizei 1991 sein Kinderfotobuch „States of Grace“ (Stand der Unschuld) beschlagnahmte, kamen ihm noch Künstlerfreunde wie David Hockney und Peter Blake zu Hilfe. Seither werden die Grenzen zwischen Kinderpornografie und Kunst strenger definiert. Als die Sittenpolizei 2006 Kinderfotos auf dem Computer Ovendens fand, strengte sie ein Verfahren an. Wie in vielen der nun diskutierten „Savile“- Fälle von Kindsmissbrauch durch Prominente muss die Polizei nun erklären, warum die Gerichtsverhandlungen 2009 und 2010 scheiterten.

Ähnlich drehte sich der Wind für Ovendens Kunst. In den achtziger Jahren war sie respektiert. Der Londoner Galerist Leslie Waddington handelte damit, das Victoria und Albert Museum zeigte sie, die Preise gingen in die Tausende von Pfund. Im Zuge einer Schenkung von 3000 Grafiken kam sogar die Tate-Galerie in den Besitz von 34 Ovenden-Werken – fast alles kleine Mädchen, auch in anzüglichen Posen. Das ist in der Kunst ja nicht ganz ungewöhnlich. Man denkt an Präraffaeliten, an Otto Mueller, die 9-jährige Fränzi beim Nacktbaden mit Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel, an Balthus.

„Ovendens Kunst ist im Besitz einer ganzen Reihe von öffentlichen Institutionen“, sagt die Sprecherin der Tate-Galerie. Zu einer wirklichen Verteidigung von nackter Kinderkunst mag sich die Tate nicht mehr aufraffen. Schon 2009 musste sie in der Debatte um ein Richard-Prince-Foto der 10-jährigen Brooke Shields in der Ausstellung „Pop Life“ klein beigeben, als die Sittenpolizei auf die Entfernung drängte. Nun ist Ovendens Oeuvre in der Tate „under review“. Was wohl bedeutet, dass sein Werk nun Verschlusssache wird und, wie manches in unseren Bibliotheken und Museen, nur noch „für wissenschaftliche Zwecke“ unter Aufsicht zugänglich sein wird. Schon lange merkt man auch an den Preisen für Ovendens Werke, dass die Hippie-Tage dieser vergreisenden Generation vorbei sind. Seit Jahren hat keines seiner Bilder mehr als ein paar hundert Pfund gebracht. Matthias Thibaut

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