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Panorama: "Das Fest des Ziegenbocks": Der Kopf der Bestie

Der Direktor des Generalarchivs der Dominikanischen Republik bezeichnete das Buch als einen "Gully voller Dreck". Und als Mario Vargas Llosa vor einem Jahr zur Präsentation seines neuen Werkes nach Santo Domingo reiste, ließ er sich von privaten Leibwächtern schützen: es hatte unverhohlene Drohungen gegen den Schriftsteller gegeben.

Der Direktor des Generalarchivs der Dominikanischen Republik bezeichnete das Buch als einen "Gully voller Dreck". Und als Mario Vargas Llosa vor einem Jahr zur Präsentation seines neuen Werkes nach Santo Domingo reiste, ließ er sich von privaten Leibwächtern schützen: es hatte unverhohlene Drohungen gegen den Schriftsteller gegeben. Sogar die Familie von Antonio de la Maza, einem der Romanhelden und Anführer der tödlichen Verschwörung gegen Vargas Llosas Protagonisten Trujillo, schrieb dem Autor einen vorwurfsvollen Brief. Der zeigte sich enttäuscht: "Ich glaube nicht, dass ich ungerecht zu De la Maza gewesen bin. Wenn ich in diesem Roman jemanden bewundere, dann jene sieben Männer, die Trujillo an der Landstraße nach San Cristóbal auflauerten."

Immerhin hielt der dominikanische Verleger zu seinem Autor: "Dieses Buch nagt an unserer Geschichte, es entzweit uns noch einmal oder spürt Risse auf, die unsere wohl unlösbare Polarisierung kennzeichnen." Kein Wunder: "Das Fest des Ziegenbocks" lässt eine der blutrünstigsten Epochen lateinamerikanischer Geschichte auferstehen: die zwischen 1930 und 1961 währende Diktatur von Rafael Leonidas Trujillo, der sich selbst als "Generalissimus", "Wohltäter", oder "Vater des Neuen Vaterlandes" verherrlichte.

Der Sex des Diktators

Trujillo, gestützt durch ein traditionelles Machtkartell aus Militär, katholischer Kirche und Oligarchie, beutete sein Land wie ein unumschränkter Feudalherr aus: Ihm und seinem Clan gehörten zwei Drittel der Zuckerindustrie sowie ein Drittel aller übrigen Industrien. Für sich und seine männlichen Verwandten beanspruchte er zudem das Recht der ersten Nacht: Zahllose Töchter und Ehefrauen auch politischer Würdenträger wurden Opfer der sexuellen Nachstellungen des "Ziegenbocks", wie Trujillo im Volksmund hieß.

Politische Gegner verschwanden in den Folterkellern des gefürchteten Geheimdienstes, ihre Leichen wurden den Haien zum Fraß vorgeworfen. Bis ins Ausland reichte der lange Arm Trujillos: Die Entführung des in den USA eingebürgerten Dissidenten Jesús de Galíndez aus New York oder das Bombenattentat auf den venezolanischen Präsidenten Betancourt führten schließlich zu einer internationalen Ächtung des Regimes.

Dennoch wurde der Diktator in seiner Heimat eher verehrt als bekämpft. Vargas Llosa arbeitet diesen Widerspruch heraus: "Alle hielten den Ziegenbock für den Retter des Vaterlandes, denn er hatte den Kriegen der Caudillos, der Gefahr einer erneuten Invasion durch Haiti ein Ende gemacht, die demütigende Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten beendet."

Erneut hat sich der peruanische Schriftsteller einem Genre zugewandt, das in der lateinamerikanischen Literatur große Tradition besitzt: dem Diktatorenroman. Doch im Gegensatz zu Miguel Angel Asturias oder Gabriel García Márquez sowie eigener früherer Werke wie "Die Stadt und die Hunde" und "Gespräch in der Kathedrale" legt Vargas Llosa hier keinen Schlüsselroman vor, sondern nennt eindeutig Namen, historisch verbürgte Fakten und Daten. Trotzdem ist "Das Fest des Ziegenbocks" keine literarische Dokumentation. Urania zum Beispiel, die vom 70-jährigen Trujillo vergewaltigte Tochter des Senatspräsidenten, ist eine fiktive, wenn auch wahrscheinliche Gestalt. Nach langjährigem Exil kehrt sie 1996 zu ihrem moribunden Vater zurück, um ihn endlich mit der grausamen Vergangenheit zu konfrontieren.

Auch die Geschichte der sieben Attentäter aus den Reihen des Militärs, die Trujillo im Kugelhagel sterben lassen, benutzt Vargas Llosa dazu, die inneren Widersprüche der Tyrannei bis hin zum persönlichen Widerstand nachzuzeichnen. "Ich schreibe Romane, keine Hagiographien", bemerkte der Autor dazu auf seiner Lesung in Santo Domingo. Wie immer bedient sich Vargas Llosa auch in seinem neuen Roman einer mit Faulknerischer Multiperspektive und Flaubertscher Liebe zum Detail angereicherten Komposition - ohne mit seiner lakonisch-melancholischen Sprache je zu verteufeln oder zu heroisieren. "Das Fest des Ziegenbocks" ist eines dieser seltenen Bücher, die man nicht mehr aus der Hand legen mag, weil sie einem den Schlaf rauben. Das liegt nicht nur an der meisterhaft konstruierten, bisweilen unerträglichen Spannung, sondern auch daran, wie der Autor die Verirrungen der Macht bis in die Poren der menschlichen Körper hinein verfolgt.

Davon bleibt auch Trujillo nicht verschont: der eitle, immergeile Bock, der angeblich nie schwitzt, verliert die Kontrolle über die eigene Blase. Doch obwohl der Autor die Eingeweide der Diktatur offen legt, bleibt seine Sprache - wie auch sonst in seinem literarischen Schaffen - sachlich, lyrisch, geschliffen.

Bis auf eine gewichtige Ausnahme, mit der Vargas Llosa dramaturgische Akzente setzt: das allgegenwärtige coño, Kraftausdruck und Füllwort der streitbaren Männlichkeit auf den Großen Antillen, ein Vulgarismus, der eigentlich "Fotze" bedeutet und den Vargas Llosa hier als leitmotivische Metapher für die eingefleischte Geisteshaltung von Trujillo-Schergen und Widerständlern gleichermaßen benutzt.

Der Untertan als Hodenträger

Schade nur, dass dieses genitale Wort in der korrekten deutschen Übersetzung allenfalls als Euphemismus auftaucht. Denn Trujillo, so zeigt Vargas Llosa, war nur der Kopf der Bestie. Seine Tyrannei konnte sich in dem Maße behaupten, wie die Untertanen sich selber als stolze Hodenträger wähnten.

Nicht zuletzt darin kommt die Tragik des Romans wie auch die der realen Geschichte zum Vorschein: Trujillo stirbt, der Trujillismo aber lebt weiter. Zum Beispiel in der Gestalt von Joquín Balaguer, einem fleischlosen, feinsinnigen Machiavellisten, der unter Trujillo Marionettenpräsident gewesen war und nach dem Tod des Diktators fast ein Vierteljahrhundert das Land regierte. Noch vor wenigen Jahren ließ sich Balaguer, längst ein erblindeter Greis, zu Präsidentschaftswahlen aufstellen, die er nur knapp verlor. Dass Vargas Llosa dessen Aufstieg unter Trujillo in einer Mischung aus Wahrheit und sarkastischer Mutmaßung beschreibt, dürfte die Abneigung erklären, die der Roman bei manchen Dominikanern hervorgerufen hat. Im Ausland jedoch wird "Das Fest des Ziegenbocks" inzwischen einhellig als ein literarisches Meisterwerk und universelles Lehrstück in Sachen Gewaltherrschaft gefeiert. Völlig zu Recht.

Roman Rhode

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