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Panorama: Das Kreuz mit dem Rücken

Warnung vor Spritzen bei Schmerzen an der Wirbelsäule: Neue Verfahren könnten gefährliche Folgen haben

Querschnittsgelähmt durch eine Schmerzspritze? In seiner aktuellen Ausgabe berichtet der „Spiegel“ von Rücken-Patienten, die durch neuartige Injektionen schwere Gesundheitsschäden erlitten. Dabei geht es um ein anspruchsvolles Verfahren, das nur unter Kontrolle durch ein Röntgengerät oder einen modernen Computertomographen angewandt werden kann. Bei dieser „periradikulären Therapie“ werden Schmerzmittel oder das entzündungshemmende Cortison direkt in die Nähe von Nervenwurzeln bei ihrem Austritt aus dem Rückenmarkskanal gespritzt.

Im Kampf gegen die Schmerzen sind Spritzen bei Ärzten und Patienten schon seit Jahrzehnten eine beliebte Waffe. Im Unterschied zu Tabletten scheinen sie direkt an den Ort des Geschehens – in zwei Dritteln der Fälle ist das der untere Abschnitt des Rückens, die Lendenwirbelsäule – vorzudringen. Meist werden dabei Schmerzmittel oder entzündungshemmende Substanzen durch die Haut (subkutan) oder in den Muskel (intramuskulär) gespritzt, in selteneren Fällen gehen die Injektionen in die Zwischenwirbelgelenke.

Die Spritzen in den Muskel, wie sie viele Rückengeplagte bekommen, gelten als ungefährlich. Problematisch dagegen können offenbar die neuen Verfahren sein, bei denen in die Wirbel gespritzt wird.

In den Leitlinien zur fachgerechten Schmerzbehandlung wird von den Experten, wenn Medikamente nötig sind, zunächst zur Einnahme gängiger Schmerzmittel wie Paracetamol geraten. Auch cortisonfreie Rheumamittel und muskelentspannende Präparate können kurzzeitig eingenommen werden. Das dient vor allem dem Ziel, die Schmerzen schnell auszuschalten, um den Rückengeplagten möglichst rasch wieder mobil zu machen. In den Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft werden die Ärzte generell gemahnt, die „Indikation zur Injektionstherapie kritisch zu stellen“. Grund: „Die Wirksamkeit der meisten Spritzen konnte bisher nicht nachgewiesen werden“, resümierte der Schmerzspezialist Prof. Jan Hildebrandt von der Uni Göttingen im Oktober beim Deutschen Schmerzkongress in Leipzig. Auch in neuen Leitlinien der EU werden sie deshalb nicht empfohlen.

Statt Zurückhaltung und Beschränkung auf wenige Einzelfälle scheint sich jedoch in deutschen Arztpraxen eher eine Ausdehnung der Schmerzlinderung per Spritze abzuzeichnen. Denn neue Verfahren wie die periradikuläre Spritze kommen hinzu, mit denen Arzneimittel noch näher an den Ort des schmerzhaften Geschehens herangebracht werden sollen. Nach Einschätzung der Arzneimittelkommission könnte es im Einzelfall gerechtfertigt sein, wenn etwa Bandscheiben auf Nervenwurzeln drücken und andere Therapien keinen Erfolg zeigten. Die große Gefahr liegt jedoch in Infektionen und Vereiterungen, die in diesem empfindlichen Areal leicht Nervenfasern abquetschen können. Der Boom der Methode hat dem „Spiegel“-Bericht zufolge verheerende Folgen wie Querschnittslähmungen und Todesfälle.

Für Rückentherapien gibt es eine große, ständig wachsende Zielgruppe: 75 Prozent der erwachsenen Bundesbürger haben schon mindestens einmal im Leben unliebsame Bekanntschaft mit Rückenschmerzen gemacht. Sie sind der Grund für die meisten Krankschreibungstage und einer der größten Kostenfaktoren im Gesundheitswesen. Den Zahlen zufolge scheint die Wirbelsäule eine Fehlkonstruktion zu sein.

Auch ein anderes Verfahren zur Schmerzbekämpfung bei Bandscheibenschäden boomt: Ein Katheter, den der texanische Arzt Gabor Racz vor zehn Jahren entwickelte, wird dafür vom Kreuzbein her durch den Rückenmarkskanal bis zum „Hindernis“ vorgeschoben, das die eingeklemmte Nervenwurzel bildet. Dort soll ein Cocktail von Medikamenten nicht nur für Schmerzlinderung sorgen, sondern auch störendes Gewebe zum Schrumpfen bringen.

Die Bundesärztekammer verwies kürzlich darauf, dass die Methode wissenschaftlich noch nicht genügend abgesichert sei. Sie könne „derzeit nicht als gesichert gelten“.

Umso sicherer scheint zu sein, dass sie schwere Nebenwirkungen haben kann: Im „Spiegel“ ist von 60 Patienten die Rede, die wegen schwerer Komplikationen in neurochirurgischen Zentren operiert werden mussten.

Adelheid Müller-Lissner

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