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Panorama: Das Ohr schläft nie

FRANKFURT (MAIN) .Dem Leiter der "Abteilung Lärm" des Umweltbundesamtes geht es so wie vielen Menschen: "An Strecken mit nächtlichem Lkw-Verkehr kann ich nicht besonders gut schlafen", sagt Dieter Gottlob.

FRANKFURT (MAIN) .Dem Leiter der "Abteilung Lärm" des Umweltbundesamtes geht es so wie vielen Menschen: "An Strecken mit nächtlichem Lkw-Verkehr kann ich nicht besonders gut schlafen", sagt Dieter Gottlob.Lärm nervt ihn deshalb vor allem auf Dienstreisen - privat wohnt er "vergleichsweise ruhig".Doch diesen Luxus haben andere nicht."Allein 80 Millionen Menschen sind in Europa Tag und Nacht ununterbrochen Straßenlärm ausgesetzt", sagt die Oldenburger Akustik-Forscherin Brigitte Schulte-Fortkamp.Die Wissenschaftlerin der Deutschen Gesellschaft für Akustik hat den vor vier Jahren in den USA ins Leben gerufenen internationalen "Noise-Awareness-Day" 1998 nach Deutschland gebracht.Der "Tag für die Ruhe - gegen Lärm" findet am Mittwoch zum zweiten Mal statt.Bundesweite Aktionen von Hörgeräte-Akustikern, HNO-Ärzten, Universitäten, Verbänden, Schulen und des Umweltbundesamtes sollen aufhorchen lassen.

In Wiesbaden wollen zum Beispiel 200 Schüler in einem "Soundwalk" oder "Klangspaziergang" die Stadt akustisch entdecken.Mit ihrer "lautlosen Aktion" wollen sie Menschen, die ihnen begegnen, "hörend, nicht redend, anregen, kurz innezuhalten und die Stadt auf ungewohnte Weise wahrzunehmen", erläutert Initiatorin Lena Dietze von der Helene-Lange-Schule die Idee.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund zeigt in einem Simulator, wie sich Schwerhörigkeit anhört.14 Millionen Menschen sind nach Expertenangaben in Deutschland davon betroffen, zwölf Millionen brauchen eine Hörhilfe.15 Prozent der Jugendlichen hören bereits so schlecht wie 50jährige.Der als störend empfundene Schall - der Lärm eben - kann ab 65 Dezibel gesundheitsschädliche Folgen haben."Wir befürchten, daß starker Straßenverkehrslärm einen negativen Einfluß auf den Blutdruck hat und das Herzinfarkt-Risiko verstärkt", sagt Lärm-Experte Gottlob vom Umweltbundesamt.Er berichtet von Studien, die zeigen, daß Herzinfarkt-Patienten ihr Schlaf- und Wohnzimmer häufiger zur Straße hatten als die Vergleichsgruppe.Im Schlaf führen bereits geringere Lärmbelastungen zu Streßreaktionen.Das Alarmorgan Ohr schläft nie.

Die bestehenden Gesetze reichen nach Gottlobs Ansicht nicht aus.Zwar regele die seit 1990 geltende Verkehrslärmschutzverordnung, daß an neugebauten Straßen die Werte von 59 Dezibel am Tage und 49 Dezibel in der Nacht nicht überschritten werden dürfen.Es gebe aber einen Freiraum bei bestehenden Straßen."Dort gibt es keinen gesetzlichen Mindestanspruch für die Bürger, was den Lärmschutz angeht", sagt Gottlob.Immerhin 20 Prozent der Deutschen fühlten sich durch Straßenverkehrslärm stark belästigt.Daneben geht den Menschen vor allem plötzlicher Lärm auf die Nerven."Je unvorhersehbarer das Schallereignis, desto eher fühlt sich jemand belästigt", sagt Akustik-Forscherin Schulte-Fortkamp.Interessant sei dabei, daß etwa ein mit Blaulicht fahrender Rettungswagen "nicht unbedingt negativ gesehen wird.Man weiß, ja, warum er fährt".Dagegen findet es nicht nur die Wissenschaftlerin "absolut ätzend", wenn eine Kreissäge die Wochenendruhe unterbricht.Solche mutwilligen Lärmbelästigungen landen nicht selten vor Gericht.Zur Freude der Rechtsanwälte, von denen so mancher sein Geld mit derartigen Nachbarschaftskonflikten verdient.

NORBERT DEMUTH (AP)

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