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Panorama: Das Taipeh’sche Pendel

508 Meter hoch – ein Besuch in der schwankenden Spitze

Ganz am Ende, quasi als krönender Abschluss, haben sie die Kugel, die das Haus in der Balance halten soll, mit einer goldenen Schicht überzogen. Jetzt glänzt das 660 Tonnen schwere Pendel. Die vielen hundert Gäste, die schon bald täglich in den Panoramarestaurants der 86. und 88. Etage kommen, werden staunen, das ist sicher. Aus den Fenstern geht der Blick auf das Häusermeer von Taipeh, der Hauptstadt Taiwans. Und gegenüber davon ist die Sicht frei in das Innere von „Taipeh 101“, auf das Pendel, das zugleich das Herzstück des höchsten Wolkenkratzers der Welt ist.

Mit dem Turm, der Silvester komplett eröffnet wird, haben die Taiwanesen gleich mehrere Rekorde gebrochen. Mit seinen 101 Etagen und 508 Metern ist er der höchste der Welt, in seinem Innern sausen seit Donnerstag auch die schnellsten Aufzüge der Welt auf und ab. 37 Sekunden brauchen sie, um ihre Passagiere vom Erdgeschoss auf die Aussichtsplattform in 382 Metern Höhe zu bringen. Und auch das Pendel, das die Schwingungen ausgleichen soll, die bei Taifunen und Erdbeben auf den Turm treffen, ist ein Rekordhalter: Es ist das größte und schwerste seiner Art weltweit.

Das Pendel, das bei unserem Besuch in der Turmspitze riesig und massig wirkt, ist im Vergleich zur Gesamtgröße des Baus geradezu winzig. Die Konstrukteure haben jedoch errechnet, dass es ausgereicht hätte, damit „Taipeh 101“ allen Erdbeben trotzen könnte, die in den letzten 2500 Jahren die Insel vor der Südostküste Chinas getroffen haben.

Bislang grenzte es an Wahnsinn, in Taipeh einen solchen Turm zu bauen. Die Stadt wird durchschnittlich an 200 Tagen im Jahr von einem mehr oder weniger starken Beben erschüttert. Die nächste erdbebenträchtige Verwerfung ist nur 200 Meter von den Fundamenten des Neubaus entfernt. Einige Beben hat das Gebäude bereits unbeschadet überstanden. Im März 2002 brachen bei einem Beben jedoch Baukräne in großer Höhe ab. Fünf Menschen starben.

Sogar einem Anschlag wie auf das World Trade Center in New York soll der massive Turm standhalten. Nach dem 11. September 2001 hatten die Taiwanesen ihre Konstruktionspläne geändert. Die Bauarbeiten waren über drei Jahre in Gang, als entschieden wurde, in jeder achten Etage eine autarke Evakuierungszone einzurichten, in der sich die Menschen sammeln und gerettet werden können. So sollen lebensgefährliche Staus auf den Treppen nach unten vermieden werden.

Mit rund 1,4 Milliarden Euro ist der Bau der teuerste in der Geschichte Taiwans. Er ist vor allem ein Symbol. Während nämlich im Festland-China die Wirtschaft boomt und Gebäude der Superlative in Schanghai und anderswo gleich reihenweise fertig gestellt werden, droht Taiwan, das die Regierung in Peking nach wie vor als eine abtrünnige Provinz bezeichnet, mehr und mehr ins Hintertreffen zu geraten. So erklärt sich auch der Ehrgeiz von Taiwans Staatspräsident Chen Sui-bian, aus dem Turm, der einst nur 66 Stockwerke haben sollte, nach und nach den höchsten Wolkenkratzer der Welt zu machen.

Eine dringende wirtschaftliche Notwendigkeit, den Turm in dieser Höhe zu bauen, gab es nicht. Viele tausend Quadratmeter Büros sind noch zu haben. Wichtigster Mieter ist die Börse von Taipeh, die auch an dem Baukonsortium aus 14 taiwanesischen Firmen beteiligt ist.

Damit die Menschen, die einmal hier arbeiten sollen, sich wohl fühlen, waren Feng-Shui-Meister an der Planung beteiligt. Sie sorgten dafür, dass die Türen an der richtigen Stelle sind und dass Baumaterialien und Farben harmonisch aufeinander abgestimmt sind. Chung Ping Wang, Architekt im Büro von C.Y. Lee & Partners, entwarf das Design des Turms. Einen eigenen chinesischen Stil sollte er nach dem Wunsch der Bauherren begründen. Natürliches Vorbild ist der Bambus, der in Fernost reichlich wächst.

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