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Das Holocaust-Mahnmal in Berlin.

© dapd

das-tut-man-nicht.de: Darf man jüdische Freunde kritisieren?

Darf man jüdischen Freunden sagen, dass es einem nicht passt, sich ständig in der Täter-Ecke wiederzufinden? Die Frankfurter Rabbinerin Elisa Klapheck denkt darüber nach und kommt zu dem Schluss: Es ist an der Zeit, das Unausgesprochene aufzulösen.

FRAGE: In unserem Freundeskreis ist eine jüdische Familie, die ich sehr mag. Nur eins stört mich: Immer, wenn wir eine kontroverse Diskussion zum Beispiel über Integrationspolitik oder über gesellschaftliche Verhältnisse in Deutschland haben, wird die "jüdische Karte" gezogen. Uns wird dann vorgeworfen, dass wir christlich geprägten Deutschen immer noch latent antisemitisch seien, dass wir alles uns Fremde immer noch ausgrenzen, oder es im tiefsten Inneren ablehnen. Das ist nicht so, im Gegenteil. Ich will die Gefühle unserer Freunde nicht verletzen. Aber ich will mich auch nicht immer in der Nazi-Ecke wiederfinden. Da gehöre ich nicht hin. Kann man seinen jüdischen Freunden offen sagen, dass das nicht geht?

ELISA KLAPHECK ANTWORTET: Klare Antwort: Niemand darf in die Nazi-Ecke gestellt werden, wenn er da nicht hingehört. Jemanden leichthin in die Nazi-Ecke zu stellen, ist ein Todschlagargument und gehört – genauso wie die antisemitischen Klischees – verboten.

Da ich bei den kontroversen Diskussionen nicht dabei gewesen bin, kann ich auch nichts über die Zwischentöne sagen. Die „jüdische Karte“ zu ziehen, kann ein Zeichen von Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit sein und hat oftmals viel mit der Situation selbst zu tun. Sie kann eine Reaktion auf etwas sein, das unausgesprochen den Ton der Diskussion mitbestimmte, ohne sich jedoch zu erkennen zu geben. Im Prinzip hätte das angesprochen werden müssen. Zu solchen Unausgesprochenheiten gehört beispielsweise, dass manche mit ihren „jüdischen Freunden“ in erster Linie befreundet sind, weil sie Juden sind. So werden sie schnell zur Projektionsfläche. Man will gerade mit ihnen über Minderheiten, Integrationspolitik, die deutsche Vergangenheit, politische Schuld sprechen. Wenn mir so etwas geschieht, fühle ich mich im Namen der Freundschaft „zweckbestimmt“ und wehre mich. Früher zog ich bisweilen die jüdische Karte, indem ich dann auch mein nichtjüdisches Gegenüber – sozusagen spiegelverkehrt – auf die „deutsche“ Seite verwies, wenn nicht gar in die Nazi-Ecke stellte.

Elisa Klapheck ist Rabbinerin in Frankfurt am Main.
Elisa Klapheck ist Rabbinerin in Frankfurt am Main.

© dpa

Ich gehöre jedoch zu einer Generation, die sich heute die „jüdische Karte“ verbittet. Ich bin bewusst aus dem Schatten der Schoa herausgetreten, um wieder ein positiv gestimmtes Judentum in Deutschland zu leben. Hierzu gehört auch, dass ich das Land, das ich allein schon mit meiner Anwesenheit mitgestalte, grundsätzlich bejahe. Ich mag es deshalb nicht, wenn bei Begegnungen mit nichtjüdischen Menschen allein deren Schuldgefühle wegen der Schoa unser Kennenlernen bestimmen. Meist sind diese Menschen kaum älter als ich, haben also die NS-Zeit nicht erlebt und können deshalb auch nicht schuldig sein. Indem sie sich mir gegenüber jedoch schuldbehaftet zeigen, drängen sie mich in die Opfer-Ecke. Wenn ich signalisiere, dass ich ihre Schuldgefühle nicht wünsche, d.h. keine Projektionsfläche sein will, geschieht es nicht selten, dass sie in ihrer Erleichterung auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, was mich genauso zur Projektionsfläche macht: Israel. Finde ich es nicht auch schlimm, was die Juden dort den Arabern antäten? Unausgesprochen ist die Frage an mich gestellt: Sind die Juden dort nicht genauso schlimm, wie die Deutschen damals?

Begegnungen, Freundschaften, Beziehungen sind immer auch ein Deal. Sie werden „verhandelt“. Grenzen zu zeigen ist wichtig, um authentisch zu sein. Ebenso ist es wichtig, Grenzen gezeigt zu bekommen. Nur so kann sich eine Freundschaft auf einer ehrlichen Basis entwickeln. Die jüdische Karte zu ziehen, jemanden in die Nazi- oder die Opfer-Ecke zu stellen, jemanden zur Projektionsfläche zu machen, ist immer eine Nichtanerkennung der Persönlichkeit des Anderen und dessen Grenzen. Vielleicht ist Ihre Frage ein Zeichen dafür, dass eine Zeit begonnen hat, solche Unausgesprochenheiten endlich auszusprechen und aufzulösen.

ZUR PERSON: Elisa Klapheck ist eine liberale Rabbinerin in Frankfurt am Main. Sie wuchs in Deutschland und Holland auf und studierte Politikwissenschaften, Judaistik und Rechtswissenschaften in Nijmegen, Hamburg und Berlin. Sie arbeitete als Pressesprecherin und Journalistin, und ließ sich in den USA zur Rabbinerin ausbilden. In ihrem Buch "So bin ich Rabbinerin geworden" beschreibt sie ihren Lebens- und Berufsweg. Seit 2009 ist sie Rabbinerin der jüdischen Gemeinde in Frankfurt.

Quelle: das-tut-man-nicht.de

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