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Das TV-Duell: Neusprech versus Hochdeutsch

Gut, dass sie mal geredet haben. Es war das mit Aufmerksamkeit erwartete Duell zwischen Klaus Wowereit und Frank Henkel, und es hat sich als kleiner Schritt auf dem Wege zu der wenig überraschenden Erkenntnis erwiesen: Wowereit ist bis zum 18.

Gut, dass sie mal geredet haben. Es war das mit Aufmerksamkeit erwartete Duell zwischen Klaus Wowereit und Frank Henkel, und es hat sich als kleiner Schritt auf dem Wege zu der wenig überraschenden Erkenntnis erwiesen: Wowereit ist bis zum 18. September nicht mehr aus der Ruhe zu bringen. Er spielt seinen Amtsbonus und seine genauen Detailkenntnisse aus und pariert Kritik im Zweifelsfall nach dem einfachen Schema „Ja, aber die Zahl war schon mal wesentlich höher“. Henkel dagegen wirkt angespannt, versteckt den Berliner Zungenschlag anders als der eher nachlässige Wowereit hinter überartikuliertem Hochdeutsch und irritiert dennoch mit verunglückten Ungefähr-Formulierungen wie „für mich zählt die Wirtschaftskraft ganz weit vorn“; er lobt die Bezirksbürgermeister, „zu denen ich hohes Zuvertrauen habe“ und lässt den Staat sich „generieren“, wo doch „gerieren“ gemeint sein dürfte. Wowereit ist auch der erste, der sich sofort vom Plan der defensiv und unsicher agierenden Moderatoren Claudia Nothelle und Christoph Singelnstein verabschiedet und quer schießt, als sich ein kurzer Ost-West-Konflikt abzeichnet, der dann sofort wieder untergeht. Das wirkt aggressiv, aber auch belebend.

Beide Duellanten sind im dunklen Anzug gekommen. Die königsblaue Krawatte Wowereits ist kontrastreicher und ruhiger als die blausilberne seines Herausforderers – ein Detail, das stellvertretend für die Grundstimmung der 45-minütigen Debatte steht. Henkel attackiert bei den erwarteten Themen: Wirtschaft und Arbeitsplätze, Bildung, Innere Sicherheit. Das ist ein weites Feld, auf dem exakte Verantwortlichkeiten schwer festzulegen sind; der Herausforderer findet das Glas stets halb leer, der Amtsinhaber stets halb voll, der eine nutzt jede Gelegenheit, herauszuarbeiten, wo Berlin im Bundesvergleich unbestritten besonders schlecht aussieht ( Bildung, Arbeitsplätze), der andere kontert, man habe aber inzwischen überall die höchsten Zuwachsraten erreicht. Die Schulden der Stadt am Ende der Ära Diepgen betrugen 40 Milliarden, „jetzt sind es 63 Milliarden“, sagt Henkel, und Wowereit ergänzt, „ja, aber nach Diepgens Finanzplanung wären es heute 90 Milliarden“. Wahlkampfrhetorik, der sich die Hierarchen des RBB nicht entschlossen entgegenwerfen; die Wahlsendungen der vergangenen Woche waren präziser und härter moderiert.

Der deutlichste Unterschied zwischen den Konzepten der beiden Kandidaten liegt zweifellos in der Frage der Industriepolitik. Wowereit sieht Berlin weiterhin vor allem als Dienstleistungs- und High-Tech-Metropole, Henkel verlangt mehr Industriearbeitsplätze vor allem für geringer qualifizierte Beschäftigte. Allerdings erweist sich der Rückgriff auf den gescheiterten Tempelhof-Investor Ronald Lauder als Knallfrosch. Denn der wollte seine Privatklinik mit der Offenhaltung des Flughafens Tempelhof verbinden, und das stand im Widerspruch zum Schließungsbeschluss, den Henkels Vorgänger Diepgen unterschrieben hat. Wowereit hantiert mit solchen Sachzwängen eleganter, auch wenn er immer den Zwängen der Genderpolitik nachgibt und „Bürgerinnen und Bürger“, „Rentnerinnen und Rentner“ so lange holpernd durch dekliniert, bis schließlich bei den „Täterinnen und Tätern“ ein grotesker Gipfel des Neusprech erreicht ist. Am Ende steht noch einmal eine Rangelei um Zahlen, diesmal bei der Größe der Polizei – doch keiner der beiden Politiker behauptet, man könne die Autobrandstiftungen durch einen Schutzmann an jedem Auto bekämpfen. Punktsieg für Wowereit, das war zu erwarten. Bernd Matthies

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