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Kein Benehmen? Laut einer Umfrage ist eine klare Mehrheit der Bürger in Deutschland für die Einführung eines Pflichtfaches "Benehmen". Können Szenen wie diese dadurch in Zukunft verhindert werden?

© dpa

Debatte über eine lebensnahe Schule: "Benehmen" als Pflichtfach?

Schüler lernen "zu viel unnützes Zeug" - und "Benehmen" sollte ein Unterrichtsfach werden: Dieser Meinung ist laut Umfrage eine klare Mehrheit der Bürger in Deutschland. Auch Fächer wie "Gesundheitskunde" und "Suchtprävention" werden vorgeschlagen.

"Benehmen" als Schulfach, am besten gar verpflichtend? Das hört sich zunächst nach konservativem Tugendwahn an - aber drei von vier Bürgern in Deutschland (75 Prozent) sind nach einer neuen Umfrage dafür. 51 Prozent meinen, dass Benimm-Kurse an Schulen Pflicht sein müssten, für 24 Prozent immerhin Wahlfach. Ein obligatorisches Unterrichtsfach „Benehmen“ läge den Befragten damit mehr am Herzen als „Wirtschaft“ (48 Prozent), „Gesundheitskunde“ (42), „Suchtprävention“ (39) oder „Computerprogrammierung“ (35).

Die Befragung des Institutes YouGov unter 1330 Bürgern zeigt auch (weniger überraschend), dass älteren Menschen die Unterweisung in korrekten Umgangsformen viel wichtiger ist als jungen. Insgesamt spiegelt die Umfrage zu bereits existierenden, aber eher seltenen und zu möglichen neuen Fächern ein verbreitetes Unbehagen mit den Lerninhalten an deutschen Schulen anno 2015 wider. Denn zwei von drei Befragten (68 Prozent) stimmen „voll und ganz“ oder „eher“ der Ansicht zu, dass Schüler „zu viel unnützes Zeug“ lernen. Lehrer sollten auch Computer- und Wirtschaftskenntnisse (je 91 Prozent Zustimmung) und Gesundheit (89) als Pflicht- oder Wahlfächer unterrichten. Selbst Schönschrift fände noch jeder Zweite gut als Pflicht- (17 Prozent) oder Wahlfach (37). Nicht nur Lehrern stellt sich da die Frage: Was soll Schule denn noch alles leisten?

Länder wie Schleswig-Holstein oder Bayern sind bereits vorangegangen

So einiges vom Wunschzettel der Bürger - freilich nicht „Benehmen“ - empfiehlt die Kultusministerkonferenz (KMK) der 16 Bundesländer schon länger als „fächerübergreifende Inhalte“ für den Unterricht. Das betreffe „vor allem Fragen der politischen und wirtschaftlichen Bildung im weitesten Sinne“ und sei „in der Regel Gegenstand mehrerer Unterrichtsfächer“ - um neue Pflichtfächer geht es also hier noch nicht. „Wirtschaftliche Bildung“ oder „Verbraucherbildung“ etwa soll laut KMK stärker in den Lehrplänen der Schulen verankert werden. Länder wie Schleswig-Holstein oder Bayern sind bereits vorangegangen.

Sehr plakativ - für manche auch platt - hatte vor wenigen Wochen die Kölner Schülerin Naina ihren Ärger über heutige Lerninhalte per Twitter verbreitet und ein Riesen-Echo erzeugt. „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern und Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen“: Damit fand Naina - neben Spott und Kritik im Netz - auch Gehör in der Politik.

„Ich bin dafür, in der Schule stärker Alltagsfähigkeiten zu vermitteln“, stimmte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) im Grundsatz zu, fügte jedoch hinzu: „Es bleibt aber wichtig, Gedichte zu lernen und zu interpretieren.“ Und die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) wies nicht nur auf die weiterhin erforderliche Verantwortlichkeit der Eltern für bestimmte „Alltagsfähigkeiten“ hin, sondern warnte auch indirekt vor einer Überdehnung der Lehrpläne: „Wie schaffen wir das, ohne dass wir ständig von oben draufsatteln?“

Wert auf Persönlichkeitsentwicklung

Die Wissenschaft nimmt sich des Themas ebenfalls an. So sollten nach Ansicht des hochkarätig besetzten Aktionsrats Bildung die Schulen in Deutschland mehr Wert auf Persönlichkeitsentwicklung legen. Lehr- und Lernprozesse dürften sich nicht nur auf Wissensvermittlung beschränken, heißt es in einem neuen Gutachten des Gremiums um die Bildungsforscher Dieter Lenzen und Wilfried Bos. Wichtig sei „mehrdimensionale Bildung“, um Schüler „bei der Entwicklung einer verhaltenssicheren und lebensfähigen Persönlichkeit zu unterstützen“.

Bildung ist mehr als Fachwissen. Überfachliche Kompetenzen müssen stärker als heute in den Lehrplänen verankert werden“, sagte der Präsident der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw), Alfred Gaffal, zu dem Gutachten. „Nicht nur Mathematik, Deutsch und Englisch sind relevant. Eine gesunde Charakterbildung ist genauso wichtig.“ Das war natürlich nicht gleich als Plädoyer für ein Pflichtfach „Benehmen“ oder als Zustimmung zu Nainas Frust-Thesen zu verstehen.
Aber gegen mehr schulische Unterweisung in den bürgerlichen Tugenden oder lebensnahem Wissen hätte die Wirtschaft wohl auch nichts. (dpa)

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