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Panorama: Der Extremhedonist

Johannes Heesters feiert 105. Geburtstag – und lässt sich im TV zu Äußerungen über Hitler hinreißen

Es wird schwerer, die Dinge leicht aussehen zu lassen, je älter man ist. Johannes Heesters war immer ein Meister in dieser Kunst, niemand konnte das besser als er. Aber er feiert heute seinen 105. Geburtstag, und da sieht überhaupt nichts mehr leicht aus, das Reden nicht und nicht das Gehen, und das Auskunftgeben schon gar nicht. Offenbar war Heesters also schlecht beraten, als er sich anlässlich seines Geburtstags in ein Studio des holländischen Fernsehens einladen ließ und dort in eine jener Sendungen geriet, die Bloßstellung mit Satire verwechseln. Es gibt sie auch in Deutschland, aber gerade auf dem Boden seiner Heimat befindet sich der greise Star immer noch im Ausnahmezustand, nirgendwo sonst nehmen die Menschen ihm sein schillerndes Verhalten gegenüber Avancen der Großnazis immer noch so intensiv übel.

Der Interviewer fragte ihn schlicht, ob Hitler denn ein „netter Bursche“ gewesen sei, und Heesters antwortete nach Agenturangaben auf holländisch: „Adolf Hitler, ja Gott, ich kenn’ den Mann wenig. Ein Kerl, weißt du, das war er, ein guter Kerl.“ Simone Rethel, die wie stets dabei saß, wenn ihr Mann öffentlich auftritt, reagierte erschrocken, und er korrigierte sich: „Nun ja, das war er nicht, aber zu mir war er nett.“

Ein Skandälchen, bestenfalls. Ob Heesters nun vom Interviewer „hereingelegt“ wurde, wie Simone Rethel in einer Presseerklärung formuliert, ob man ihm das Wort „in den Mund gelegt“ hat, das ist eine rein akademische Frage. Denn dass er Hitler in Wahrheit nie für einen „guten Kerl“ gehalten hat, dürfte außer Frage stehen. Er ließ sich nie für explizite Propaganda missbrauchen, blieb notorischer Zivilist angesichts überbordender nazistischer Endsiegfantasien, tanzte und sang mit Frack, Zylinder und Seidenschal, ein aus der Zeit gefallener Galan, Gegenteil eines Hurra-Patrioten.

Aus heutiger Sicht wirkt dieser Extremhedonismus vor der Silhouette von Ruinen und Konzentrationslagern zynisch – damals machten die Künstler, sofern sie nicht Juden waren, aber wohl einfach das, was sie immer machten. Heinz Rühmann, Gustaf Gründgens, Marika Rökk haben sich nicht anders verhalten als Heesters. Andererseits ist auch unstrittig, dass er sich zumindest benutzen ließ und seine Glanznummer, den Grafen Danilo in der „Lustigen Witwe“, zur großen Freude Hitlers spielte; dass Louis Treumann, der Danilo der Uraufführung, 1943 in Theresienstadt ermordet wurde, hat er wohl erst sehr viel später erfahren.

In einer akribischen Biografie, die vor fünf Jahren erschien, weist der Historiker Jürgen Trimborn darauf hin, dass Jan Kiepura, Richard Tauber und Joseph Schmidt, die beliebtesten deutschen Tenöre der Weimarer Republik, von den Nazis in die Flucht getrieben wurden. Heesters habe davon profitiert, weil er plötzlich ohne Konkurrenz dastand. Doch, so resümiert Trimborn: Man könne ihm nicht vorwerfen, „dass er diese Situation bewusst gesucht oder aus Kalkül gehandelt habe“.

Der Hitler-Satz wäre nicht gefallen, stünde Heesters zu seinem unglaublichen Geburtstag nicht wieder einmal unter verschärfter Beobachtung. Und der Satz passt in den seltsamen Prozess, den der Alt-Star gegenwärtig gegen den Berliner Autor Volker Kühn führt und der vermutlich am 16. Dezember vor dem Berliner Landgericht abgeschlossen wird. Hat Heesters, als er 1941 mit der Schauspielertruppe des Münchener Gärtnerplatz- Theaters das KZ Dachau besuchte, „zur Erbauung der Wachmannschaften gesungen“, wie Kühn behauptet? 

Heesters bestreitet das energisch – doch macht es einen großen Unterschied? Dass er dem Druck der Machthaber nicht widerstanden und den Besuch im Lager nicht abgelehnt hat, steht außer Frage, und er selbst bestreitet nicht, dass das der wohl größte Fehler seiner Karriere war. Die Wahrheit über den Auftritt, das steht wohl schon jetzt fest, wird das Gericht angesichts widersprüchlicher Aussagen nicht herausfinden können.

In Deutschland hat dieses Gerichtsverfahren Gräben wieder aufgerissen, die längst zugeschüttet waren. In Holland liegen die Dinge anders, das zeigt auch das missglückte TV-Interview. Denn Heesters’ vielbeachteter Auftritt in seiner Geburtsstadt Amersfoort liegt erst knapp ein Jahr zurück, es war sein erstes Konzert in Holland nach 44 Jahren Pause, ein Hochsicherheitsfall mit Demonstranten vor der Tür, Metalldetektoren und Sperrzäunen. Ein Gegenkonzert präsentierte Werke jüdischer Komponisten, und man erinnerte sich daran, dass nur drei Kilometer vor dem Ort einst ein deutsches KZ lag.

Doch drinnen gab es 2008 Ovationen für den greisen Star, das war immerhin schon etwas anderes als 1964. Damals sprach man in Holland erstmals vorsichtig schüchtern über die Besatzungszeit, über Verrat, Schuld, Kollaboration; Heesters sollte im Musical „The Sound of Music“ ausgerechnet einen Widerstandskämpfer spielen, eine offenbar nicht sehr glückliche Idee. Und er wurde folglich von erbosten Studenten unter Sprechchören wie „Heesters SS“ buchstäblich aus dem Land geworfen, weil er in ihren Augen für eine ganze Generation von Mitläufern und Mittätern stand.

Später hat Heesters einmal gesagt, er habe, als Hitler ihn für den Danilo rühmte, an seine Königin denken müssen, und dass sie sich nie so angebiedert hätte. Ob das die Wahrheit ist? Wir sollten Heesters zum 105. Geburtstag zumindest den Glauben daran schenken.

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