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Blumen am Grab der dreijährigen Yagmur in Hamburg.

© dpa

Der Fall der dreijährigen Yagmur in Hamburg: Untersuchungsausschuss sieht Verkettung von Versäumnissen

Vor einem Jahr erregte der Fall der dreijährigen Yagmur bundesweit Aufsehen. Sie war an den Folgen schwerer Misshandlungen gestorben. Ein Untersuchungsausschuss befasste sich mit der Frage, ob die Behörden versagten.

Auf den Tag genau ein Jahr nach dem Tod der durch körperlich misshandelten dreijährigen Yagmur aus Hamburg hat der im Frühjahr eingerichtete Parlamentarische Untersuchungsausschuss am Donnerstagabend seinen Abschlussbericht vorgelegt. In der Summe des Aktenstudiums und aller Zeugenaussagen kam der Ausschuss zu der Erkenntnis, dass eine Verkettung von Versäumnissen und Fehleinschätzungen den Tod des Mädchens wohl begünstigt hatte.

Verurteilt wurden dafür die leiblichen Eltern. Gegen die Mutter wurde vom Landgericht Hamburg eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes verhängt, gegen die die Frau inzwischen Rechtsbeschwerde eingelegt hat. Der Vater muss für viereinhalb Jahre wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen ins Gefängnis und hat seine Strafe akzeptiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit noch gegen mehrere Behördenmitarbeiter wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht.

Die politische Aufarbeitung ist beinahe ein Deja-Vu in Sachen Kinderschutz, denn kurz vor Yagmurs Tod hatte erst ein Sonderausschuss die Defizite in diesem Bereich aufgelistet. Dabei stand der Tod der damals elfjährigen Chantal durch eine Überdosis Methadon Anfang 2012 im Fokus. Der Prozess mit den Pflegeeltern des Mädchens auf der Anklagebank läuft derzeit noch vor dem Landgericht in Hamburg.

Glaubt man einem leitenden Mitarbeiter aus einem bezirklichen Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), hat sich für die Tätigkeit der Jugend- und Familienhilfe seit dem Fall Chantal im Alltag nur wenig zum Positiven verändert, im Gegenteil habe sich die Belastung durch einen hohen Krankenstand, personelle Fluktuation und Arbeitsverdichtung fast noch verschärft. Der Mann kam vor dem Yagmur-Untersuchungsausschuss zu dem Urteil, dass seine Dienststelle „im Grunde nicht arbeitsfähig“ sei. Eine komplizierte Software und ausgedehnte Dokumentationspflichten würden ihr Übriges tun, fügte er hinzu. Mit ihrer Ausschuss-Mehrheit verhinderte die SPD nun, dass ein Zusammenhang zwischen schlechten Arbeitsbedingungen bei den Sozialen Diensten und dem Tod von Yagmur formuliert wurde.  

Spätestens durch die Einblicke in die ASD geriet auch Sozialsenator Detlef Scheele stärker in die Kritik. Scheele hatte zuletzt 26 neue Stellen für den ASD zugesagt. Weil auffällige Warnsignale im Fall Yagmur übersehen wurden, nach Umzügen der leiblichen Eltern die Übergabe der nötigen Dokumentationen zwischen drei Bezirken im Stadtgebiet nicht funktionierte und die durch eine Anzeige des Instituts für Rechtsmedizin eingeschaltete Staatsanwaltschaft keinen Grund für eine Intervention sah, wurde Yagmur immer wieder in der Obhut ihrer peinigenden Eltern belassen. Verhängnisvoll für Yagmur war wohl zuletzt eine ASD-Einschätzung, dass trotz bekannter Vorgeschichte auf eine Gefährdungswohlanalyse verzichtet und der Vorgang nur dem Bereich der Familienbeihilfe zugeordnet wurde.

Fazit des rund 550-seitigen Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses ist ein Empfehlungskatalog mit 32 Forderungen und Anregungen an die politischen Entscheidungsträger, die aber keine Verbindlichkeit besitzen. Da der Abschluss der Ausschussarbeit in den derzeitigen Hamburger Wahlkampf fällt, gibt es unterschiedliche Bewertungen. CDU, FDP und Grüne legten ergänzende Minderheitenstatements zum Abschlussbericht vor. Die CDU fordert Scheeles Rücktritt.                       

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