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Panorama: Der Fluch der Öffentlichkeit

Madeleines Eltern reagieren gereizt auf die Polizei – wie sich die Nachrichtenlage nach und nach änderte

Die Nachrichten zum 100. Tag nach Madeleines Verschwinden hätten kaum schrecklicher sein können. Zum ersten Mal räumte die Polizei am Samstag öffentlich ein, dass das britische Mädchen tot sein könnte. „In den letzten Tagen gab es einige Entwicklungen, einige Anhaltspunkte, die auf einen möglichen Tod des kleinen Kindes hinweisen könnten“, sagte der portugiesische Chefinspektor Olegario Sousa der BBC. Damit wurde die grauenhafte Vermutung, die die Presse schon vergangene Woche verbreitet hatte, wieder ein Stück wahrscheinlicher. Die Hoffnungen auf ein gutes Ende schwinden.

Das Verhältnis von Madeleines Eltern und der portugiesischen Polizei ist inzwischen offenbar sehr angespannt. Es sei unglaublich, dass die Ermittler nicht den Anstand gehabt hätten, erst mit den Eltern zu sprechen, bevor ein solcher Verdacht öffentlich verbreitet worden sei, sagte ein Freund der Familie McCann am Sonntag der britischen Inlandsnachrichtenagentur PA. Auch die Tatsache, dass diese Vermutung ausgerechnet am 100. Tag nach dem Verschwinden der Kleinen bekannt geworden sei, habe die Familie sehr geschmerzt.

So ganz unerwartet kam die offizielle Erklärung der Polizei aber nicht. Nach und nach waren in den vergangenen Tagen Nachrichten durchgesickert, die die Öffentlichkeit und die McCanns darauf vorbereiteten, dass sich der Focus der Ermittler langsam um 180 Grad dreht.

Angefangen hatte es mit der Meldung einer portugiesischen Zeitung, britische Spezialspürhunde hätten im Zimmer der Familie Leichengeruch gewittert. Dann war von Blutspuren die Rede. Das waren die ersten Meldungen, die darauf hindeuteten, dass die Polizei weniger der Entführungsthese nachgeht denn der These, dass das Kind tot ist. Untermauert wurde das durch erneute Durchsuchungen des Anwesens eines Verdächtigen und der Umgegend, bei der Polizisten mit Stöcken im Gebüsch stocherten.

In dieser Zeit war es die offizielle Position der portugiesischen Polizei gewesen, öffentlich nichts verlauten zu lassen. Es folgten Meldungen in der portugiesischen Presse, wonach sich die Ermittlungen wieder an Eltern und Bekannte richteten. Bei all diesen Meldungen beriefen sich die Zeitungen auf Fahndungskreise. Die Polizei sagte, sie werde offiziell weder dementieren noch bestätigen. Insofern war bei der Interpretation der Meldungen größte Vorsicht angebracht. Außerdem ist keineswegs gesichert, dass die Blutspuren von Madeleine stammen. Das wird erst im Laufe der Woche klar sein, wenn die DNA-Analyse vorliegt.

Was den Meldungen eine gewisse Glaubwürdigkeit gab, war das plötzliche Dementi der Polizei, als es um eine Spekulation der Londoner „Times“ ging, wonach die Spur in die Schweiz führe, wo ein in Spanien lebender Schweizer sich selbst getötet hatte. Er war verdächtig, ein fünfjähriges Mädchen entführt zu haben, das Madeleine ähnelte. Wenn die Polizei diese Version sofort dementierte, die anderen aber nicht, dann lag die Vermutung nahe, dass die Polizei sehr wohl ein Interesse daran hatte, die Nachrichtenlage vorsichtig zu steuern. Das wiederum war ein Zeichen dafür, dass sich der Wind drehte. Insofern sollte es für die McCanns nicht überraschend gewesen sein, als dann die offizielle Bestätigung kam.

Dass die Polizei Eltern und Bekannte erneut befragt, heißt nicht, dass sie als Verdächtige gelten. Sie gelten als Zeugen, sagte der Chefinspektor.

Die McCanns wurden bei ihrer großen Suchkampagne von Medienprofis beraten. Waren die nicht auf die Frage vorbereitet, was zu tun ist, wenn sich der Wind einmal dreht? Am Freitag forderte das Ehepaar gereizt die Polizei auf, die Ergebnisse der Ermittlungen offenzulegen. „Wir sollen unsere Tochter umgebracht haben?“, fragte Gerry McCann. „Das ist lächerlich und unglaublich empörend.“

Die McCanns hatten von Anfang an die Öffentlichkeit gesucht. Sie wussten wohl nicht, was das für Folgen hat. os/dpa

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