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Müll-Notstand in Neapel

© ANSA

Panorama: Der Müll, die Stadt und die Mafia

Neapel versinkt in Bergen von Abfall – die Camorra importiert derweil Giftstoffe aus dem ganzen Land

Dreitausend Tonnen. So viel Hausmüll häuft sich derzeit in den Straßen von Neapel. Nicht nur das: Er stinkt. Unter der für Mai schon allzu heißen Sonne verrotten die Abfälle in ihren schwarzen Plastiksäcken; süßlich-fauliger Geruch kriecht durch die Gassen. Dreckhaufen, bis zu zwei Meter hoch, blockieren Gehsteige, Straßen und sogar Kirchentüren; aus zerrissenen Tüten quillt alles, was der Mensch so wegwirft, von der Zahnbürste bis zu Fischresten. Ratten suchen, was sie brauchen können. Und immer wieder zünden aufgebrachte Bürger diese Müllhalden an. Dann füllen sich die Gassen mit beißendem Rauch, Giftschwaden dringen in die Häuser ein. „Lasst wenigstens das Zündeln sein“, mahnen die lokalen Verantwortlichen. Und trotzdem: Nacht für Nacht rückt die Feuerwehr zu 100 und mehr Bränden aus. Inzwischen haben die Aufräumarbeiten begonnen, geschlossene Deponien wurden wieder geöffnet, neue sollen entstehen.

1400 Tonnen Hausmüll produziert die Stadt Neapel jeden Tag, die Region Kampanien 7200 Tonnen – mehr als sechs oder sieben andere Regionen Italiens zusammengenommen. Aber während die meisten Regionen ein geschlossenes Entsorgungssystem aufgezogen haben, konnte und wollte das in Kampanien bisher niemand. Dass dafür zuerst Sorglosigkeit und Kurzsichtigkeit bestimmend waren, dann die Rücksicht auf andere, auf kriminelle Interessen, weiß in Italien jeder; aber durchgegriffen hat bisher niemand.

Am Ende gab es in Kampanien nur mehr eine Deponie, in die überhaupt noch Müll passte. Der große Rest landet derzeit in den störanfälligen, immer wieder blockierten „Sortieranlagen“, die das Verbrennbare vom „toten“ Material scheiden sollten. Der Müllofen indes, der vor Jahren geplant war, ist nie gebaut worden, und so stapeln sich die so genannten Ökoballen mit dem verbrennbaren Material in allen Ecken der Region. Fünf Millionen sind es mittlerweile, aneinandergereiht eine Strecke von 7500 Kilometern, und ihre „thermische Entsorgung“ würde bereits jetzt 50 Jahre in Anspruch nehmen.

Allerdings wird in Kampanien jede Nacht Müll verbrannt: auf offenem Feld, illegal und unter der Regie der Camorra. Die Mafia der Region beherrscht das Geschäft mit dem Abfall, und so mancher Lokalpolitiker wollte – in gegenseitigem Einvernehmen – deren Kreise nicht stören. In eine Region, die ihren Müll nicht im Griff hat, importiert die Camorra jährlich tausende Tonnen Sondermüll aus anderen Teilen Italiens. Problem- und Giftstoffe, deren sich Industriebetriebe aus dem Norden auf diese Weise billig entledigen, werden in Steinbrüchen notdürftig vergraben oder eben verbrannt. Die Schadstoffwolken, die das Seveso-Gift Dioxin enthalten, haben die Gegend nördlich von Neapel zu einem „Dreieck des Todes“ gemacht. Dort sind nach einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation bei 250 000 Menschen Vergiftungserscheinungen festzustellen. Die Krebshäufigkeit ist bis zu 20 Prozent erhöht. Das Gift ist längst auch in die Nahrungskette eingedrungen. Die besonders krebserregende Dioxin-Form TCDD ist bereits in 71 Prozent aller Milchproben von Schaf und Rind nachweisbar – auch in der Büffelmilch, aus der Mozzarella gemacht wird.

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