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Betreiber einer "Paintball"-Halle und Stuttgart schließen Vergleich

© dpa

Der neue Generationskonflikt: Internet-Sperren: Die Gegner der Gegner

Eine neue Bewegung bildet sich: Sie will keine Internetsperren – und kein Verbot von Paintball. Sie will Musik und Filme kostenlos downloaden dürfen. Von der Politik wird diese Bewegung verachtet. Das könnte sich rächen. Kommt der nächste große Generationskonflikt?

Droht ein neuer Generationenkonflikt? Mit großem Unverständnis hat die Politik auf eine Bewegung reagiert, die sich in den vergangenen Wochen an drei Themen rieb: dem geplanten Verbot des Paintball-Sports, bei dem Spieler mit Farbkugeln aufeinander schießen; der Verurteilung der Betreiber der Internet-Tauschbörse Pirate Bay in Schweden zu Haftstrafen; und den Plänen der Bundesregierung, im Kampf gegen Kinderpornografie im Internet Nutzersperren einzurichten, die dem Staat die Möglichkeit einräumen, Zensur auf allen Feldern auszuüben.

„Wie man eine Generation verliert“, titelte „Zeit online“. Politiker hätten für die Gegner dieser Maßnahmen nur Verachtung übrig und verprellten so ihre künftigen Wähler.

Wer sind diese Gegner eigentlich? Als Antwort auf Zensur und Verbote haben sie sich als Internetpiraten und Paintballer inzwischen in Parteien formiert. Und 82 000 Unterschriften sammelte in kürzester Zeit die Initiative für eine Petition gegen Internetzensur. Sie alle wehren sich gegen die „Placebo-Politik“ der großen Parteien, die ihrer Ansicht nach viel zu weit von der Realität junger Erwachsener entfernt sind.

„Wir wollen keine Gesetze brechen, wir wollen sie ändern, weil sie in unserem digitalen Zeitalter nicht mehr brauchbar sind“, fordert die etwas über tausend Mitglieder starke Piratenpartei, die in diesem Jahr zum ersten Mal bei der Europa- und Bundestagswahl antritt. Für „freies Wissen für alle“ kämpfen die Piraten, eine Reform des Urheberrechts und die Legalisierung des freien Herunterladens von Musik und Videos über das Internet.

Das Netz ist für sie Alltagsgegenstand in der modernen Informationsgesellschaft. An der etablierten Politik aber rauscht die wandlungsfähige neue Welt in rasendem Tempo vorbei. Twitter, Blogs und Social Networking Sites gehören fest zum Lebensstil vieler Menschen, „aber die meisten Politiker haben noch nie etwas von diesen Dingen gehört“, sagt der Spitzenkandidat der Piraten für die Europa- und Bundestagswahl, Andreas Popp. Er hat Wirtschaftsmathematik studiert, ist 25 Jahre alt und gehört zu den „digital natives“, an die er sich mit seiner Politik wenden will – junge, IT-affine Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind. Popp und seine Piraten sträuben sich gegen „die veraltete Politik der Volksparteien“, die „totale Internetanalphabeten sind und das Internet deshalb ständig als etwas Böses betrachten“.

Als bedrohlich empfanden die Regierungsparteien CDU und SPD auch Kampfspiele wie Paintball. Das geplante Verbot des Trendsports sollte eine Reaktion auf den Amoklauf in Winnenden sein. Dass die Regierung sich lächerlich macht, wenn sie den Schützenvereinen, aus deren Milieu der Amokläufer kam, die Waffen belässt, aber andererseits Leuten das Farbkugel-Schießen verbietet, hat zumindest die SPD inzwischen gemerkt. Die Union zögert noch mit einem Rückzieher und stellte gestern auf Anfrage klar, eine endgültige Entscheidung falle erst Ende des Monats. Währenddessen haben sich die Paintballer zur Deutschen Paintballpartei (DPP) zusammengetan. „Sie werden aus einer emotional-moralischen Haltung heraus unterdrückt, die sich nicht mit Fakten untermauern lässt“, sagt Anwalt Dirk Baumann, der die Trendsportler vertritt. „Aber ich kann nicht alles verbieten, was mir nicht passt, nur weil ich es nicht kenne.“ Die DPP muss allerdings noch durch den Bundeswahlleiter genehmigt werden. Das kann einige Wochen dauern. Aber „wir sehen keine andere Möglichkeit mehr, unsere Interessen zu verteidigen“, sagt Baumann. Knapp 1900 Beitrittserklärungen hat er seit Anfang letzter Woche registriert, auch bei der DPP liegt der Altersschnitt bei Mitte 20. Entgegen den Vorurteilen seien Paintballspieler keine Freaks, sagt Arne Petry, Sprecher der Deutschen Paintball-Liga. „Das sind ganz normale Leute, vom Arzt bis zum Bauarbeiter.“ Ihre Idee, eine Partei zu gründen, „wird aber sicher von vielen belächelt“, sagt Baumann.

Unterschätzt und belächelt wurde auch die „Piratpartiet“, das schwedische Vorbild der deutschen Piratenpartei, als sie Anfang 2006 gegründet wurde. Von den Mitgliedern her ist sie mit 43 000 Eingeschriebenen die drittgrößte Partei in Schweden und hat gute Chancen, in das EU-Parlament einzuziehen: Nach einer Umfrage in der Stockholmer Zeitung „Dagens Nyheter“ könnten die Piraten bei der Wahl Anfang Juni 5,1 Prozent der Stimmen erhalten. Eng verbunden ist die Partei mit den Betreibern von Pirate Bay, einer Online-Tauschbörse, über die Nutzer kostenlos an Raubkopien von Musik und Filmen gelangen können. Nach deren Verurteilung Mitte April entflammte in Stockholm eine Welle des Protests. Tausend Jugendliche fühlten sich als moderne Freiheitskämpfer und protestierten auf der Straße gegen das Urteil. Was für die Piratpartiet der Pirate-Bay-Prozess ist, ist für die deutschen Piraten die Online-Petition gegen die Sperre von Kinderpornoseiten im Internet. Die 29-jährige Initiatorin Franziska Heine ist über den Erfolg ihrer Petition nicht nur überrascht. „Wir können der Politik klarmachen, dass sie nicht im Sinne des Volkes handelt.“ Sie ist zwar keine Piratin. Aber die Bloggerin gehört zur selben Generation junger Erwachsener und trifft mit ihrer Petition genau den Nerv der Piratenpartei. Und den vieler anderer: „Die Petition war keine halbe Stunde auf Twitter gepostet, schon haben sie Tausende gezeichnet“, sagt Andreas Popp. Den Internetpiraten hat die Debatte neue Mitglieder beschert. Die Gegner der Sperren betonen, dass sie den Kampf gegen Kinderpornografie für außerordentlich wichtig halten. Ihr entscheidendes Argument: Die geplante Sperre löscht kein einziges Pornobild im Internet. Nur der Zugriff wird erschwert. Die Sperre aber kann über Umwege von Tätern umgangen werden, weshalb die Pläne unwirksam sind. Deshalb sind auch Organisationen gegen Kinderpornografie skeptisch. Gleichzeitig gibt sich die Regierung mit den geplanten Sperren ein Instrument in die Hand, um Inhalte jedweder Art zensieren zu können.

Diese symbolische Politik, die nichts Wirkliches bewirkt, sondern nur Aktionismus simuliert und sich gegen eine neue Welt richtet, die die Politiker selbst nicht kennen, das ist es, was die Gegner empört. Andreas Popp: „Vielleicht sind wir ja für die neuen Technologien, was die Grünen für die Umwelt waren.“

Julia Wäschenbach

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