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Panorama: Der Zug der Vogelgrippe

Die Krankheit droht außer Kontrolle zu geraten – China verbietet die Veröffentlichung von Daten

Vergangene Woche bekam Professor Guan Yi, einer der führenden Hongkonger Vogelgrippe-Experten, Besuch aus dem chinesischen Landwirtschaftsministerium. Die Beamten, die Guan in seinem Labor in Shantou in Südchina aufsuchten, kamen gleich zur Sache: Ohne Erlaubnis dürfe er keine Forschungsergebnisse mehr über die Vogelgrippe in China veröffentlichen, zitierte die „South China Morning Post“ aus dem Gespräch. Ansonsten mache sich der Wissenschaftler der „Verbreitung von Staatsgeheimnissen“ schuldig, warnten sie – ein Vergehen, das in China mit Gefängnis bestraft wird.

Das harsche Vorgehen zeigt die Nervosität der chinesischen Regierung. Trotz landesweiter Kampagnen und Massenschlachtungen ist es China und anderen asiatischen Ländern nicht gelungen, die Ausbreitung des H5N1-Virus einzudämmen. Mindestens 57 Menschen sind bisher in Vietnam, Thailand, Kambodscha und Indonesien an dem Vogelgrippe-Erreger gestorben.

Auch wenn es in China offiziell bislang keine Todesfälle gibt, sind Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO über die Situation in dem bevölkerungsreichsten Land der Erde besorgt. So sollen chinesische Bauern ihrem Geflügel Anfang des Jahres massenweise menschliche Grippemittel verabreicht haben – die Folge könnte sein, dass diese Mittel in Zukunft wirkungslos für Menschen sind. Wie weit verbreitet der Virus in China bereits ist, zeigt eine neue Studie von japanischen Forschern. Sie entdeckten eine Form von H5N1 in gefrorenem Entenfleisch, das bereits 2003 aus der chinesischen Provinz Shandong nach Japan exportiert wurde.

Professor Guan hatte zusammen mit anderen Experten im Fachmagazin „Nature and Science“ vor kurzem über die Situation in dem Qinghai-See in Westchina berichtet, einem der größten Schutzgebiete für Wildvögel in China. Nach Angaben der Wissenschaftler hat sich dort eine besonders aggressive Variante des H5N1-Virus unter den Wildvögeln verbreitet. Täglich bis zu 100 Streifgänse, Möwen und Kormorane seien am Tag gestorben, berichteten die Wissenschaftler. Bis Ende Mai sollen bereits 1500 Vögel verendet sein.

Die Nachrichten vom Qinghai-See sorgten für Aufsehen. Bisher gingen Experten davon aus, dass sich das Vogelgrippe-Virus vor allem unter Hausgeflügel ausbreitet. Der WHO-Koordinator Klaus Stöhr befürchtet, dass Zugvögel den Virus weiter als bisher ausbreiten könnten.

Nach Angaben Pekings sind in der Provinz Qinghai mehr als 6000 Zugvögel an der Vogelgrippe gestorben. Auch in der nordwestlichen Provinz Xinjiang soll es einen Virenausbruch an der Grenze zu Kasachstan gegeben haben. Eine offizielle Anfrage der WHO an die chinesische Regierung mit der Bitte um Virusproben und Daten aus den Gebieten blieb bisher jedoch unbeantwortet.

Offenbar will Pekings Regierung das Vogelsterben herunterspielen. Der H5N1-Ausbruch unter den Zugvögeln in Qinghai sei „unter Kontrolle gebracht“, erklärte der Direktor des Veterinärbüros, Jia Youling. Die Zahl der sterbenden Tiere im Juni sei auf 20 pro Tag gesunken.

Experten aus anderen Ländern befürchten jedoch, dass die Zugvögel aus Qinghai das Virus nach Indien, Australien, Neuseeland und möglicherweise bis nach Europa tragen könnten. „Wir glauben, dass einige dieser Vögel schon mit ihrer Reise begonnen haben“, warnt WHO-Sprecher Wadia.

Harald Maass[Peking]

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