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Was Brasilien und Deutschland - angeblich - ausmacht.

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Deutsch-brasilianische Klischees: Bier und Samba

Brasilianer spielen Fußball, tanzen Samba und sind faul. Deutsche sind fleißig, ausländerfeindlich und trinken Unmengen Bier. Unsere Austausch-Journalistin Denise Menchen aus Rio de Janeiro rückt nach zwei Monaten in Deutschland Klischees ins rechte Licht.

Ich wollte diesen Text mit einer wahren Geschichte beginnen, die ich erlebt habe. Damit die Leser sie aber verstehen können, muss ich zuerst erklären, dass ich deutsche Vorfahren habe. Mein Urgroßvater, Otto Hermann Menchen, ist um das Jahr 1900 nach Brasilien ausgewandert. Damals war der Strom von deutschen Migranten sehr stark. Die Mehrheit hat sich in Südbrasilien niedergelassen.

Obwohl das schon lange her ist, sind ein paar deutsche Einflüsse in der Familie geblieben. Die Mahlzeiten mit Spätzle und Sülze, die ich bei Verwandten erlebt habe, sind ein kleines Beispiel dafür. Das erklärt, warum ich in Rio de Janeiro, wo ich seit 2003 wohne, von ein paar Freunden und Kollegen "die Deutsche" genannt werde.

Nach dem Hintergrund kommt die Geschichte: Eines Tages gab es in meinem Büro in Rio eine Diskussion. Ich erinnere mich nicht, worum es ging, aber nachdem ich ein paar Minuten nur zugehört hatte, entschied ich mich, auch meine Meinung zum Thema zu äußern. Das habe ich anscheinend so entschieden gemacht, dass ein Kollege zu den anderen sagte: "Passt auf mit den Deutschen, wenn man nicht hinschaut, greifen sie Polen an". Tja, wenn ein Klischee über Brasilien stimmt, dann das, dass es in Brasilien kaum ein Thema gibt, worüber man keine Scherze machen darf.

Zutreffend oder nicht, die Aussage meines ehemaligen Kollegen spiegelt die Vorstellung wider, die viele Leute von den Deutschen noch haben: dass sie ein kriegerisches, kaltes, aggressives und ausländerfeindliches Volk sind. Dazu kommt noch eine Reihe anderer Klischees, manche positiv, wie die deutsche Pünktlichkeit, die Disziplin oder der Fleiß, andere weniger schmeichelhaft, wie der endlose Appetit auf Bier und Wurst.

Brasilianer ihrerseits werden oft als lebensfreudig und locker, aber auch als faul und sexuell freizügig bezeichnet. Und sie sind alle Mestizen, die den ganzen Tag am Strand verbringen, Samba tanzen, Fußball spielen, Caipirinha trinken, unheimlich viel Fleisch essen und friedlich in einer ethnischen Vielfalt leben, wie es sie in keinem anderen Land der Welt gibt.

Natürlich aber ist die Realität viel komplexer als das - sowohl in Brasilien als auch in Deutschland. Und genau deswegen sind Reisen so interessant. Wenn man offen genug ist, seine Vorurteile hinter sich zu lassen, kann man schöne Entdeckungen machen. Und dadurch die Wahrnehmung vom eigenen Land ändern.

Die zwei Monate, die ich bis jetzt in Berlin verbracht habe, bestätigen mir, was ich in einem siebenmonatigen Deutschland-Aufenthalt im Jahr 2006 schon bemerkte: das Bild von dem kalten und aggressiven Volk trifft in der Realität nicht zu.

Zurückhaltung wird als Arroganz ausgelegt

Zwar redet die Mehrheit der Leute hier nicht so leicht mit Unbekannten, wie man es in Brasilien macht. Ich denke, das hat damit zu tun, dass den Deutschen die Privatsphäre sehr wichtig ist. Für Brasilianer wirkt das oft als arrogantes Desinteresse. Ergreift man aber die Initiative, dann wird man meistens gut aufgenommen. Gut, dass ich das schon im ersten Monat bemerkt habe, sonst wäre die Zeit hier nicht so schön.

Als Brasilianer muss man aber auch lernen, wie man mit dem direkten Stil der Deutschen umgeht. Wenn sie etwas nicht mögen, dann sagen sie es normalerweise ausdrücklich. Das wird in Brasilien oft als Beleidigung empfunden. Ich kann mir vorstellen, dass ein Deutscher, der nach Brasilien umzieht, Schwierigkeiten damit hat.

Das Klischee der Ausländerfeindlichkeit aber wird schon durch die große Anzahl von Menschen aus verschiedenen Ländern, die in Berlin wohnen, in Frage gestellt. Dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg zufolge sind 190 Nationalitäten in der Hauptstadt zu finden. Sitzt man in der U-Bahn, hört man fast immer eine Fremdsprache.

Obwohl es noch viele Integrationsprobleme gibt, ist das schon ein Zeichen dafür, dass das Bild nicht so schlimm ist, wie einen das Klischee glauben machen könnte. Auch dass ein Aufmarsch von Rechtsextremisten in Lübeck Ende März von Tausenden Gegendemonstranten begleitet wurde, wie ich im Fernsehen sehen konnte, hat mich sehr beeindruckt.

Sprichwörtliche deutsche Pünktlichkeit

Dass man den Deutschen nachsagt, pünktlich und diszipliniert zu sein, scheint mir aber soweit fair. Ich finde es immer erstaunlich, wie die Sitzungen beim Tagesspiegel genau um die Zeit anfangen, für die sie geplant sind. In Brasilien fängt fast alles mit 15 Minuten Verspätung an, wenn nicht mehr.

Die Pünktlichkeit hat aber mit Sicherheit damit zu tun, dass man hier den Tagesablauf viel besser vorhersehen kann als zum Beispiel in Rio, wo man oft im Stau sitzen muss - das unzureichende Angebot an guten öffentlichen Verkehrsmitteln ist ja eine der größten Herausforderungen, die die Stadt vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 lösen muss.

Das heißt aber nicht, dass die Deutschen eine Verspätung nicht tolerieren können - in den zwei Monaten hier habe ich leider ein paar Leute auf mich warten lassen, und die waren angeblich nicht beleidigt. Hatte ich nur Glück?

Ein weiteres Klischee, das durchaus Bezug zur Realität hat, ist das, dass die Deutschen unheimlich viel Bier trinken. Aber wie könnte das auch anders sein bei so vielen guten Biersorten?

Denise Menchen arbeitet als Gastredakteurin neun Wochen lang für den Tagesspiegel. Sie stammt aus Porto Alegre und ist über das internationale Journalistenaustauschprogramm IJP nach Berlin gekommen. In ihrer Heimat Brasilien arbeitet sie in der Lokalredaktion der Tageszeitung Folha de S.Paulo in Rio de Janeiro.

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