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Deutschland drumherum (29): Geschichte und Geschichten von Frau Zimmermann

Helmut Schümann trifft bei seiner Umrundung auch auf Claudine Zimmermann, eine Frau, die sich viel mit der Verstrickung der Elsässer in den Nationalsozialismus beschäftigt - und bei einer deutschen Firma kündigte, als diese den Geburtstag von Adolf Hitler feierte.

Frau Zimmermann wurde ja schon erwähnt, Claudine Zimmermann, die geschichtsbewußte Vermieterin des Zimmers in Mothern, die mir schnell Dokumentationen über Leid und Verstrickung der Elsässer in den Nationalsozialismus zeigte. „Es wurde lange Zeit nicht nachgefragt, wo Widerstand aufhörte und Kollaboration anfing“, sagte sie. Man habe das wahrscheinlich nicht so genau wissen wollen. Ich habe dann am nächsten Morgen gefragt, ob ich noch eine Nacht bleiben könne,  „Ruhetag, Schreibetag“, in Wahrheit, weil die Geschichten, die Frau Zimmermann und ihr Mann erzählten Spannung verhießen. Frau Zimmermann ist in vieler Hinsicht eine bemerkenswerte Frau, nicht nur, weil sie die historische Vergangenheit ihrer Heimat kritisch bis skeptisch sieht, nicht nur, weil sie im Dorf und in der Familie durchsetzte, dass ihre Kinder nicht zur Kommunion gehen mussten, und nicht nur, weil sie sich nichts vorzuwerfen hat und ihrer Haltung treu blieb. „Ich habe vor ein paar Jahren drüben in Deutschland in einer deutschen Firma gearbeitet. Und habe an dem Tag gekündigt, als dort einige Herrschaften, eigentlich die ganze Firma, den 20. April feierten.“ Für diejenigen, die nicht wissen, was tausend Jahre am 20. April gefeiert werden sollte, es war der Geburtstag von Adolf Hitler in Braunau am Inn, und Dank der Alliierten wurde Deutschland, wurde, Europa und die Welt 1945 nach viel zu langen zwölf Jahren von diesem Geburtstagsspuk befreit. „Und dann feiern die das“, sagte Claudine Zimmermann in ihrem schönen Garten, „und dem Chef fiel nichts anders ein, als die Kollegen um Rücksicht zu bitten, weil ich Französin bin. Da habe ich noch am gleichen Tag gekündigt. Das ist erst ein paar Jahre her, der 20. April ist jetzt mein Feiertag.“ Madame Zimmermann hatte noch andere Geschichten zu erzählen, nicht alle waren französisch-deutsche Geschichten, auch keine europäischen.

Sondern ihre persönliche. Sie zeigte mit in einer der Chroniken ihren Großvater, der wirkte auf den Bildern als verhärmter Mann. Ihren Vater zeigte sie nicht, von dem erzählte sie. „Der wäre heute nicht glücklich, wenn er wüsste, dass mein Sohn, sein Enkel, eine Deutsche geheiratet hat und sehr glücklich ist.

Der Vater muss ein erzkonservativer Knochen gewesen sein, konsequent nicht nur in seiner politischen Haltung, sondern auch konsequent in Fragen der tradierten Geschlechterrollen. „Mein Traum war es, Jura zu studieren“, erzählte Frau Zimmermann. Es blieb ein Traum. „Ich habe drei Schwestern, einen Bruder, der durfte studieren, die Mädchen nicht einmal Abitur machen. Ich habe es durchgesetzt“, erzählt sie und strahlt dabei ziemlich stolz. „Aber ich habe mir meine Schulbücher selber verdienen müssen, der Vater hat nichts dazugegeben. Für den war die Investition in die Ausbildung einer Frau raus geschmissenes Geld, ich weiß es nicht, aber ich glaube er hat mich verachtet, stolz war er auf jeden Fall nicht, dass ich mich durchgesetzt und meine Prüfung bestanden habe.“

Und dann wäre sie gerne nach Straßburg zum Studium gegangen, erzählte sie, aber das hätte die Finanzierung des Studiums bedeutet, eines eigenes Zimmer, des Lebensunterhalts. „Er gab nichts dazu, die Mutter konnte sich nicht durchsetzen,“ sagte Frau Zimmermann. Aus dem Jura-Studium wurde nichts. „Ich meine, ich bin jetzt 51 Jahre alt, das Mittelalter ist bei uns auch im Elsass noch nicht so lange vorbei.“

Das sind bittere Worte. Besonders wenn man sie über den eigenen Vater verliert. Soll ich ihr gratulieren, dass sie trotzdem ihren Frieden gefunden hat, sie lacht nämlich bei ihren Erzählungen. Ich gratuliere ihr. Claudine Zimmermann ist 51 Jahre alt, vor knapp 30 Jahren hätte sie gerne Jura studiert, sie durfte nicht, weil ein despotischer Mann im Mittelalter verhaftet blieb. „Lassen Sie Ihr Fenster zu“, sagte Frau Zimmermann, „ die Rheinmücken feiern heute bei dem Wetter Mückenfest.“ Claudine Zimmermann wäre gewiss eine gute, einfühlsame Anwältin geworden.

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