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Wie steht's um uns Deutsche in Europa? Helmut Schümann umrundet unser Land mit dem Rucksack auf dem Rücken.

© privat

Deutschland drumherum (32): "Man wird doch wohl mal heulen dürfen"

Etwa 1100 gelaufene Kilometer hat Helmut Schümann auf seiner Wanderung rund um Deutschland bereits hinter sich gebracht. Der Rucksack wird immer schwerer - obwohl immer weniger drin ist. Und auch die Füße schreien immer lauter nach einem Fußbad. Aber das geht auch Piet so, dem Niederländer.

Von Thionville über Schengen nach Wasserbillig, allein schon des Namens wegen. Ein Oberbillig gibt es auch noch an der Mosel. In Wasserbillig treibt der Billig-Tourismus besonders schöne Blüten. Die Deutschen aus dem Raum Trier/Konz fahren mit dem Auto nach Wasserbillig, weil dort der Sprit so billig ist, die Luxemburger aus dem Raum Wasserbillig fahren in den Raum Trier/Konz, weil dort die Lebensmittel und Zigaretten so billig sind. Es ist ein Kommen und Gehen.

Zurück zum Wandern. Vor Thionville, nach Sarreguemines, kündigte sich entlang der Saar die erste Blase an. Ich meine, in diesen Beinen stecken jetzt, von Swinemünde aus betrachtet, etwa 1100 gelaufene Kilometer, da neben sieht eine Blase wie Nichts aus. Schmerzhaft ist sie trotzdem, sie sitzt rechts neben dem kleinen Zeh des rechten Fußes, gefühlt unterhalb der Hornhaut. Wenn gerade mal kein Hausboot vorbei tuckert und fröhliche Bootsfahrer freundliche Grüße an Land rufen, hört man den Fuß nach einem Fußbad schreien damit die Hornhaut aufweicht und die Blase schutzlos daliegt, bereit zum Platzen  gebracht zu werden.

Sind halt so Fantasien, die sich bilden, wenn man stundenlang alleine einen Weg entlang geht, linkes Bein, rechtes Bein, die Beine, werden inzwischen immer früher am Tag schwer. Bisher war es meist so: 6:30 Aufstehen, bis 7:00 Uhr Duschen und Routenplanung. Kurzes Frühstück, dann Abmarsch gegen 8:00 Uhr. Bis 10:00 Uhr sind zehn Kilometer geschafft, da wollte ich in Sierck-Les-Bains sein, gegenüber Schengen. Bin aber irgendwo falsch gelaufen und laufe nicht auf Sierck-Les-Bains zu sondern auf Mondorf-les-Bains. Und etwas mulmig wird der Weg auch, weil er ziemlich nah an Centrale EDF vorbei führt, dem Kernkraftwerk bei Cattenom.

In der Regel brauche ich nach zwei Stunden eine längere Pause, brauchte ich, die Lust an der Pausenverlängerung nimmt von Tag zu Tag zu, der Fuß schreit wieder nach einem Fußbad. Piets Fuß schreit auch. Piet ist Niederländer, wir trafen uns am Grenzübergang von Frankreich nach Luxemburg, er ist der erste Wanderer überhaupt, den ich auf diesem Trip treffe. Er ist von Rotterdam aus gekommen und nach Rom unterwegs, „einfach, weil ich es will“, sagt er. Er läuft rüber nach Frankreich, ich rüber nach Schengen, noch 10 Kilometer,  und weiter nach Billigwasser. Linkes Bein, rechtes Bein, warum nicht nur die Beine schwerer werden von Tag zu Tag, sondern auch der Rucksack, keine Ahnung. Eigentlich müsste er leichter werden, ein Hemd hat schon dran glauben müssen, das liegt irgendwo in Fetzen in einer Mülltonne der Schweiz, aber er wird schwerer, der Rucksack, irgendein Teufel legt mir über Nacht einen Wackerstein rein, der zudem noch unsichtbar ist und keinen Platz weg nimmt, aber da ist. Besonders am Nachmittag, wenn es aufs Ziel zugeht nimmt er sein diabolisches Spiel auf und drückt auf die Schulter.

Oder, um es anders auszudrücken: Es gibt kein Jammern, es gibt kein Wehklagen, ich bin freiwillig hier, am Abend, wenn die Beine oben liegen und der Fuß endlich Ruhe gibt, weiß ich auch warum. Aber man wird als wandernder Mittfünfziger doch wohl auch mal heulen dürfen. Darf man nicht? Okay, wird nicht wieder vorkommen.

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