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Panorama: „Die Deiche sind butterweich“

Die Einsatzkräfte liefern sich einen Kampf mit dem Hochwasser. Unaufhörlich sickert es. Wehe, wenn die Wälle brechen

Schweißgebadet steht Michaela Körner neben einem großen Stapel gefüllter Sandsäcke. Sie stützt sich auf ihre Schaufel und atmet schwer. „Seit heute Morgen sind meine Schwester und ich hier“, erzählt die 34-jährige Hausfrau. Hier, das ist eine Kieskuhle in der Nähe der Ortschaft Tramm im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg. Und hier werden die Sandsäcke befüllt, mit denen im gesamten Kreisgebiet die Deiche gegen die andrückenden Fluten der Elbe und ihres Nebenflusses Jeetzel verteidigt werden.

In der Lokalzeitung, der „Elbe-Jeetzel-Zeitung“, hatte sie am Frühstückstisch den Aufruf des Landrates gelesen, dass freiwillige Helfer gesucht würden, um Sandsäcke zu füllen. „Und da hab ich meine Schwester angerufen, und wir sind losgefahren.“ Wie hunderte andere Menschen schuften sie nun Stunde um Stunde, und das, obwohl sie selbst nicht einmal in der Nähe der von dem Hochwasser bedrohten Gebiete leben. „Das ist hier in Lüchow-Dannenberg nun mal so – hier hilft man sich.“

Auf die Sandsäcke, die die beiden Frauen und die anderen freiwilligen Helfer befüllen, wartet eine lange Schlange von Tiefladern, Traktoren und auch Bundeswehr-Lastwagen, die die Säcke verteilen. „Wir fahren nach Dannenberg“, erklärt einer der Tieflader-Kapitäne. Dirk heißt er, verrät ein Schild hinter der Windschutzscheibe. Unterwegs erzählt er, dass das schon seine fünfzehnte Tour an den gefährdeten Abschnitt des Jeetzeldeiches in Dannenberg ist. „Da brennt die Luft“, schnauft er.

Knapp 30 Zentimeter unter der Deichkrone steht das Wasser der Jeetzel an den Deichen der Stadt Dannenberg. Aber diese Deiche bieten nur noch einen zweifelhaften Schutz vor den Fluten. „Die Deiche sind butterweich, wir müssen sie mit Sandsäcken verstärken, sonst hauen die uns ab“, sagt ein Feuerwehrmann aus Dannenberg. Wasser, das schon durch den Deich sickert, steht ihm bis an den oberen Rand seiner Gummistiefel. Das Wasser sickert unaufhörlich an den Deichen Norddeutschlands und breitet sich langsam aus. Wehe, wenn die Deiche brechen. „Das wäre ein Katastrophe, dann würde der gesamte Develangring absaufen“, befürchtet er.

Im Develangring, einem Stadtteil von Dannenberg, bereiten sich daher auch die Menschen auf das Schlimmste vor: Keller werden leer geräumt, Kellerfenster zugemauert, Sandsack-Wälle errichtet. Fast tausend Menschen wohnen hier. Und für diese Menschen schuften die Männer der Feuerwehren und des Technischen Hilfswerkes. „Unsere Freizeit – Ihre Sicherheit“ steht auf den roten Feuerwehrfahrzeugen, und die freiwilligen Helfer tun in diesen Tagen an den Deichen in Lüchow-Dannenberg alles, um diesem Motto gerecht zu werden.

Doch nicht nur in Dannenberg bedroht das Wasser die Menschen: Entlang des kleinen Flüsschens Jeetzel kämpfen hunderte weitere Einsatzkräfte aus ganz Nordostniedersachsen gegen die Wassermassen. Soven, Lüggau, Kapern, Laasche, Pevestorf – die Liste der bedrohten Ortschaften ist lang. „Wir kämpfen an vielen Fronten, unsere Leute sind alle am Rande der Erschöpfung“, schildert Lüchow-Dannenbergs Kreisbrandmeister Uwe Schulz den Ernst der Lage. Mit Hubschraubern fliegt die Bundeswehr Sandsäcke in die Gebiete, die mit Traktoren und Tiefladern nicht mehr zu erreichen sind – Sickerwasser hat viele Deichverteidigungswege mittlerweile unpassierbar gemacht. „Aber wir kämpfen weiter, was bleibt uns anderes übrig.“

In Hitzacker, der derzeit am schlimmsten betroffenen Stadt in Lüchow-Dannenberg, haben viele Menschen den Kampf gegen das Elbwasser schon verloren. „Die gesamte historische Altstadt ist abgesoffen“, sagt Ernst Gabener vom THW. Mit Sandsäcken, Pumpen und Folie versuchen viele Bewohner, ihre Häuser noch zu sichern, doch das schmutzige, braune Wasser, das mittlerweile höher steht als bei der so genannten Jahrhundertflut von 2002, holt sich ein Haus nach dem anderen. Vielerorts macht sich bei den Bewohnern Verzweiflung breit. Den Strom hat der lokale Energieversorger, die E.on-Avacon, notgedrungen schon am Freitag abgeschaltet, Elektrizität für Licht und Pumpen gibt es nur noch aus Notstromaggregaten.

Und immer häufiger mischt sich in die Verzweiflung der Anwohner auch Wut. Wut über die Verwaltung, die nach dem Hochwasser von 2002 nicht schnell genug für einen ausreichenden Hochwasserschutz gesorgt hätte; Wut auf die Behörden, die viel zu lange von einem völlig falschen Höchstpegelstand ausgegangen waren; und Wut auf die Kreisverwaltung, die nach Meinung vieler Hitzackeraner den Katastrophenfall viel zu spät ausgerufen habe. Die Kreisverwaltung weist diese Vorwürfe jedoch entschieden zurück. „Der Zeitpunkt war richtig“, heißt es aus dem Kreishaus in Lüchow. „In Hitzacker wäre bei diesem Pegelstand von 7,80 Meter, also 30 Zentimeter mehr als 2002, auch mit tausend Bundeswehrsoldaten nicht mehr viel zu retten gewesen.“

Der Autor ist Reporter der „Elbe-Jeetzel-Zeitung“ und gleichzeitig Feuerwehrmann, der tagsüber zwischen Dannenberg und Hitzacker eingesetzt wird.

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