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Panorama: "Die große Beleidigung": Lyrik von der Putztrupe

Ist Wolf Wondratschek einer wie Fischer, nur dichterischer? Als unkonventioneller 68er war Wondratschek, der 69 debütierte, mit Rolf Dieter Brinkmann Mitglied einer nur locker verbundenen lyrischen Putztruppe gegen Verinnerlichung und lauen Seelenjammer in deutschen Gedichten.

Ist Wolf Wondratschek einer wie Fischer, nur dichterischer? Als unkonventioneller 68er war Wondratschek, der 69 debütierte, mit Rolf Dieter Brinkmann Mitglied einer nur locker verbundenen lyrischen Putztruppe gegen Verinnerlichung und lauen Seelenjammer in deutschen Gedichten. Man blickte westwärts, doch statt dem miesen Vietnam-Amerika zuzujubeln schrieb man den bösen Beat-Burschen Bukowski, Kerouac & Co. hinterher. Die Sprache konnte nicht laut und alltäglich genug sein. Wenn Jammer war in "Chucks Zimmer", einem der erfolgreichsten Titel von der Hand Wondratscheks, dann bitte kräftige Melancholie von Männern, die den Tag mit einer Schusswunde begannen und Schwänze ganz anführungszeichenlos durch Texte baumeln ließen, als es das Wort politisch korrekt noch nicht gab.

Es ist soziologisch noch ungeklärt, welche stilbildenden Selbstinszenierungsklischees und emotionalen Verwüstungen die Verse Wondratscheks in poesiewilligen Jungen und bösen Mädchen der siebziger Jahre angerichtet haben. Jedenfalls gaben sie ihnen das Gefühl, deutsche Lyrik zu lesen und dennoch dabei zu sein. Bob Dylan oder Wondratschek - das war nicht egal, aber beides nicht Goethe, und wenn man auch noch Plenzdorfs neue Leiden dazu goss, so kam doch eine recht nahrhafte deutsche Vereinigung jugendlicher Revoluzzer dabei heraus. Wer damals jung war und lesen konnte, nahm nicht jedes Wort Wondratscheks ernst, empfand es aber als Ausdruck, ja, eines "Lebensgefühls", das man vielleicht gar nicht hatte, aber eventuell gerne gehabt hätte.

Und einige sehr lakonisch gute, dabei sehr melodische Verse waren, das merkt man noch heute, in den diversen Wondratschek-Bänden ja auch mit dabei: Doch anders als bei manchem 68er ist es mit Wondratschek wie mit Fischer: Die beiden haben nie aufgehört auf ihrem Gebiet. Der eine ist Politiker, der andere Dichter geblieben. Gewandelt in ihrem Metier haben sich beide und der Wandel hat sich bei beiden langsam vollzogen: Fischer wurde zahmer, dann Turnschuhträger, dann Außenminister; W. hingegen bis Mitte der achtziger Jahre immer langweiliger, weil er die Zuhälter und Tramp-Geste nicht aufgeben wollte.

In den letzten Jahren jedoch hat sich Wondratscheks Schreiben auf eine Weise verändert, die es beinahe so anschmiegsam gemacht hat wie die Politik des obersten deutschen Diplomaten. Wondratscheks "Kelly-Briefe" von 1998 sind, trotz selbst konstatierten "Restbeständen" revolutionären Gehabes, beinahe so seelenvoll wie die Lyrik, gegen die seine frühen Texte sich richteten. War es bei Fischer das Amt, das die neue Haltung gewählt hat, so mag es bei Wondratschek, wie in einigen Interviews erzählt, die Vaterwürde gewesen sein. Oder auch nur die Einsicht, dass sich die anstrengende Pose des einsam dichtenden Machos als jugendlicher Künstler ohnehin nicht noch ein paar Jahrzehnte durchhalten lassen dürfte.

Wondratscheks neues Buch hat mit "Die große Beleidigung" einen Titel, der an alte Zeiten erinnert, doch ist das beinahe das einzige, das von der vor Jahren noch erfrischend energischen Aufschneiderei geblieben ist. Vier entschieden mittelmäßige Gestalten stehen im Zentrum von vier Prosatexten. Der nur knapp skizzierte Erzähler ist noch immer ein männliches Ich, das mit Wondratschek einiges gemeinsam hat, doch auch er ist stiller geworden. Nun ist Mittelmäßigkeit das Schicksal von uns, und darum interessant. Doch was Wondratscheks literarischem Bewältigungsversuch schadet, ist der Versuch, die alte Cool-Stilisierung einfach durch eine neue, schwächere Glasur zu ersetzen.

Alles ist noch manchmal und irgendwie da: Bosheit, Klarheit, Ironie, aber alles nur noch ein bisschen. Ob der erblindende Regisseur und Frauenheld Nohál, der einmal etwas machen möchte, das er "Giotto zeigen könnte", was er auch noch sagt; ob die Witwe, die sich nicht nach ihrem Mann sehnt, sondern nur nach seinem öffentlichen Glanz; ob der halbwegs erfolgreiche Dichter Wrenck mit seinem Sohn oder der empfindsam gescheiterte Orchestergeiger Auermann: alle werden sie nicht mehr von oben herab durch die Sonnenbrille gesehen, ihr Schicksal wird nun elegisch ausgewalzt, man könnte auch sagen: mitfühlend nacherzählt.

Liegt das Problem mit dem neuen Wondratschek also nur daran, dass er älter und milder geworden ist? Das allein wäre nicht schlimm, Wondratscheks Hindernis ist ein anderes: Früher machte er knappe Sprüche, schrieb kernige Alltags-Balladen, heute macht er lange, edel klingende Sätze, aber er hat noch keine Erfahrung damit. Er hat sich einfach einreihen wollen in die Tradition der noblen Erfolglosigkeits- und Midlife-Crisis-Thematik, bleibt aber an ihrer Oberfläche.

Verschwommene Charaktere bevölkern verschwommene Situationen. Nichts überrascht. Keine Figur. Die Sätze sind sprachlich korrekt, doch das Buch hat den Geruch des Epigonalen, es haftet ihm etwas hübsch Halbgeglücktes an: Noch eine Geschichte über einen Orchestermusiker und eine einsame Frau, jaja, aber verdammt noch mal, würde Chuck sagen, wohin soll sich Giotto das stecken? Wondratschek hat sein Großmaul-Getue, die Einer-von-der-Straße-Masche hier glücklich vergessen und sich in vier Texten für die Badewanne wohl gefühlt.

Hans-Peter Kunisch

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