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Panorama: "Die Last des Erinnerns": Geld ist keine Lösung

Keine Vergebung ohne Sühne. So lautet das Fazit des neuen Essaybands "Die Last des Erinnerns" von Wole Soyinka.

Keine Vergebung ohne Sühne. So lautet das Fazit des neuen Essaybands "Die Last des Erinnerns" von Wole Soyinka. Der 67-jährige Literaturnobelpreisträger - der erste aus Afrika überhaupt - widmet sich darin der Frage, wie die Versklavung, Verschleppung, Entwurzelung und Ausbeutung von rund 20 Millionen Menschen vergolten werden kann. Ist eine Wiedergutmachung überhaupt möglich?

Ein materieller Ausgleich, wie Soyinka ihn in mehreren Varianten durchaus vorschlägt - ein vollständiger Schuldenerlass als Geste der Reue oder die Rückgabe der afrikanischen Kunstschätze als Zeichen des Bedauerns - stellt für den Moralisten aus Nigeria indes nur die zweitbeste Lösung dar. Wenngleich das Vergehen gegen die Menschenrechte nicht ungesühnt bleiben soll, schätzt Soyinka die Bitte um Entschuldigung als Ausdruck der Reue und der Einsicht in ein nicht wieder ganz gutzumachendes Unrecht höher ein. Man mag argwöhnen, dass noch weitere Entschädigungsklagen wegen längst vergangener Völkerrechtsverletzungen drohen dürften, wenn das Thema Sklaverei in solcher Vehemenz wieder aufs Tapet gebracht wird. Wer weiß, ob nicht Palästinenser einmal als vorgebliche Rechtsnachfolger der Einwohner Jerusalems Reparationen wegen der Kreuzzüge verlangen werden?

Gleichwohl verdeutlicht Soyinkas Essayband eines: Die Annahme, dass das Versagen des europäischen Humanismus erstmals durch den Holocaust markiert worden sei, kann kaum noch aufrechterhalten werden. Mehrere Jahrhunderte zuvor zeigten sich mit Beginn der Sklaverei bereits unübersehbar die düsteren Begleiterscheinungen des Humanismus. Aktueller Anlass für Soyinkas Überlegungen waren aber die Tagungen der Wahrheitskommission in Südafrika.

Wie wird mit vergangenem Unrecht umgegangen, wie können Täter und Opfer einen Weg finden, um einander ohne Vorbehalte, ohne stille Vorwürfe und etwaige Schuldgefühle wieder in die Augen blicken zu können? Eine Frage, die zurzeit weltweit auf der Tagesordnung steht, denkt man etwa an den Genozid in Ruanda, an das Ende der Militärdiktatur in Indonesien, die Auslieferungsanträge gegen den vormaligen chilenischen General Pinochet oder die Diskussion über die Zwangsarbeiterentschädigung in Deutschland.

Soyinka lehnt eine Amnestie ab, weil sie zu leicht als Ausdruck der Schwäche interpretiert werden könnte. Er bezieht zudem die arabischen Sklavenhändler in seine Kritik ein und polemisiert gleichermaßen gegen die afrikanischen Diktatoren der Gegenwart. "Die Last des Erinnerns" liefert bedenkenswerte Thesen, und Soyinka liefert für fruchtbare Debatten über die Folgen der Sklaverei reichlich Stoff. Allerdings bringt Soyinka seine Argumente nicht immer methodisch schlüssig vor. Er formuliert brillant - das steht außer Frage -, aber er vermischt nach eigenem Gutdünken auch Statistiken mit Allgemeinplätzen und möglicherweise persönlichen Ressentiments. Soyinka fegt durch die Jahrhunderte, liefert weder Dokumentation noch Analyse, sondern provoziert mit einer oft nur an der Oberfläche sinnfälligen Rhetorik.

"Die Last des Erinnerns" beruht auf Vorträgen an der US-Universität Harvard, die der Dramatiker, Poet und Romancier Soyinka bereits 1997 über die - mittlerweile beseitigte - Militärdiktatur in Nigeria hielt. Als Buch erschienen die Vorlesungen in Oxford vor zwei Jahren, und für die jetzt vorliegende deutsche Ausgabe hat Soyinka zwei Kapitel, die sich besonders auf die Bewertung der Negritude beziehen, einer westafrikanischen Kulturströmung, gegen einen aktuelleren Abschnitt getauscht, in dem es überwiegend um das Beispiel Südafrika geht. Auch das Vorwort hat Soyinka neu verfasst, so dass sich die deutsche Ausgabe inhaltlich beträchtlich vom englischen Original unterscheidet.

Was den Lesefluss betrifft, so bürgen die zu Grunde liegenden Vorträge für eine leicht verständliche Flüssigkeit des Textes. Dieser populäre Jargon, dem die publikumswirksame Beweisführung entspricht, bleibt freilich hinter dem Eindruck zurück, den Soyinkas Prosa sonst hinterlässt. Der Band ist journalistisches Tagwerk: nötig und stimulierend, aber von bleibendem Wert höchstens wegen der Diskussion, die das Buch sicherlich anzustoßen vermag.

Manfred Loimeier

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