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Panorama: Die letzte Ruhe findet sich überall

In Nordrhein-Westfalen tritt ab Montag ein neues Gesetz in Kraft: Bestattungen können nun außerhalb von Friedhöfen stattfinden

Die alte Frau lächelt zufrieden und kippt die Asche ihres verhassten Bruders aus der Urne ins Plumpsklo. Dann setzt sie sich selbst darauf. Diese Vision einer späten Rache in Lasse Hallströms Film „Schiffsmeldungen“ leistet den Gegnern eines liberalisierten Bestattungsgesetzes, wie es an diesem Montag in Nordrhein-Westfalen in Kraft tritt, Schützenhilfe. Dabei ist es auch nach der Gesetzesänderung nicht möglich, die Urne mit der Asche des geliebten Verstorbenen mit nach Hause zu nehmen. Neu ist jedoch, dass sie nicht mehr unbedingt auf dem Friedhof beigesetzt werden muss, sondern auch außerhalb auf bestimmten, dafür vorgesehenen Feldern verstreut oder begraben werden darf. Außerdem wird der bisher bestehende Sargzwang bei Erdbestattungen aufgehoben.

Das ermöglicht die nach islamischen Regeln vorgesehene Tuchbestattung. „Auch dabei wird eine Art Sarg gebaut“, erläutert der Berliner Bestatter Sadettin Deniz, „wir schichten nach einem bestimmten Prinzip Bretter um die Leiche herum auf, so dass sie nicht direkt mit der Erde in Berührung kommt. Die Toten selbst werden in riesige, weiße Tücher eingeschlagen, das ist im Islam Pflicht.“ Da bis vor vier, fünf Jahren 99 Prozent aller Türken in der Heimat begraben werden wollten, war das kein Problem. Seit einiger Zeit, so stellt Sadettin Deniz fest, möchten die in Deutschland lebenden Türken der zweiten Generation die Gräber ihrer Eltern in der Nähe haben. Nur in Hamburg waren bisher Tuchbestattungen möglich.

Das neue Gesetz in Nordrhein-Westfalen reagiert aber nicht nur auf die sich langsam ändernden Bestattungswünsche der Deutschtürken, sondern vor allem auf die gerade dort verbreitete Praxis des Beerdigungstourismus. Angehörige, die gern die Asche eines lieben Verstorbenen bei sich haben wollen, können sie nämlich in die Niederlande oder auch in die Schweiz zunächst ausführen und später wieder einführen – „im unauffälligen Ziergefäß“, wie niederländische Bestatter sie im Sortiment haben. Das kann eine Buchattrappe oder eine Statuette sein; auch Kreuze, Amphoren oder Herzen zum Umhängen sind erhältlich. Außerdem sind die sprichwörtlich lockeren Niederländer auch bei Beerdigungen unbürokratisch.

Sie gehen auf Sonderwünsche der Angehörigen bei den Zeremonien ein, die dort nicht im Halbstundentakt absolviert werden, und bieten beispielsweise Räume für das traditionelle Beerdigungskaffeetrinken gleich an Ort und Stelle mit an. Im Saarland gibt es inzwischen so genannte Friedwälder nach Schweizer Muster. Dort kann die Asche in das Wurzelwerk eines neu gepflanzten Baums versenkt werden und somit zu dessen Wachstum und Gedeihen beitragen: ein tröstlicher Gedanke, zumindest für Naturmystiker.

Es gibt jedoch viele Gründe, die Asche eines geliebten Angehörigen tatsächlich auch in der Wohnung, im eigenen Garten oder gar – im Schmuckanhänger – am eigenen Leib aufbewahren zu wollen, emotionale und pragmatische: Schon ein Umzug kann regelmäßige Friedhofsbesuche verhindern oder, bei alten Menschen, eine körperliche Behinderung. Und, so argumentieren Psychologen, die Trauerarbeit, das Abschiednehmen, werden dadurch erleichtert.

Gegner eines liberaleren Bestattungsgesetzes stammen vor allem aus den Reihen der katholischen Kirche und der Sarghersteller. Die einen fürchten um die Ruhe der Toten, die sich nun nicht mehr in Gottes Hand begäben. Die anderen ums Geschäft.

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