zum Hauptinhalt

Panorama: Die Luftbrücke lebt

Berlins Helden: Veteranen von 1948/49 bereiten sich auf den 60. Jahrestag vor

Lebendig wird Geschichte durch Menschen, die sie erlebt und vielleicht sogar beeinflusst haben. Über die Luftbrücke, die West-Berlin 1948/49 vor Stalins Zugriff rettete, kann man mitreißende Schilderungen lesen. Doch nichts davon ist so ergreifend wie eine Begegnung mit den Männern, die die „Rosinenbomber“ flogen, damals als Milchbärte – und die sie heute immer noch fliegen, die meisten in ihren hohen Achtzigern.

Alljährlich treffen sich die Luftbrückeveteranen, erst gerade wieder in Norfolk, Virginia. Zwischen 300 und 400 leben noch. 70 sind in diesem Jahr gekommen. Und wie so oft haben sie auch diesmal einen „Candy Drop“ geflogen – mit der „Spirit of Freedom“, einer viermotorigen DC-4, dem zivilen Schwestermodell der C-54, die damals der Lastesel der Berliner Luftbrücke war. Es ging nach Kitty Hawk, eine Flugstunde südlich, wo den Gebrüdern Wright 1903 der erste Motorflug gelang. Die betagte Propellermaschine fliegt um einige tausend Meter niedriger als moderne Düsenjets, das Brummen der Motoren hallt in den Ohren. Am Atlantikstrand ließen die Veteranen über dem Wright-Denkmal Süßigkeiten an kleinen Taschentuch- Fallschirmen vom Himmel regnen. Unten winken dankbare Jugendliche – wie vor 58, 59 Jahren an den Begrenzungszäunen des Flughafens Tempelhof.

Nur Gott weiß, wie oft sie noch zusammenkommen können. Nach menschlichem Ermessen jedenfalls ist der 60. Jahrestag des Beginns der Luftbrücke im kommenden Jahr, am 26. Juni 2008, das letzte große Jubiläum, das Berliner mit den überlebenden Rettern der Stadt gemeinsam feiern können.

Auch mit 87 Jahren ist Gail Halvorsen eine sportliche Erscheinung. Er ist der berühmteste der Piloten, der eigentliche „Candy-Bomber“. Er hatte als Erster beim Anflug auf Berlin-Tempelhof Süßigkeiten für die in der Einflugschneise wartenden Kinder abgeworfen. Niemand ahnte damals, dass Schokolade und Kaugummi zum überragenden Symbol für den Geist der Luftbrücke werden würden. Für das Überleben West-Berlins waren die Kohle, die die Kraftwerke laufen ließ, sowie Mehl und andere Nahrungsmittel weit wichtiger. Doch die süße Beifracht sollte die Erinnerung einer ganzen Generation von Berlinern prägen.

Gail Halvorsen, ein mormonischer Farmersohn aus Utah, war 27 Jahre alt und erst kurz zuvor aus dem Weltkrieg zurück, als er als Freiwilliger erneut nach Europa aufbrach, um nun die früheren Feinde zu versorgen. Stalin hatte die Zufahrtswege der Westalliierten nach Berlin blockiert, um deren Abzug aus der Stadt zu erzwingen.

Der Anblick bei seinem ersten Anflug auf Berlin am 18. Juli 1948 schockierte Halvorsen. In seinem Weltkriegeinsatz als Nachschubpilot hatte er keine zerstörten Städte gesehen: „Durch die Häuserruinen konnte man hindurchblicken. Die Männer, die beim Ausladen der Mehlsäcke halfen, hatten ausgemergelte Gesichter. Aber ihre vor Dankbarkeit feucht schimmernden Augen werde ich nie vergessen.“ Drei bis vier Flüge pro Tag von der Rhein-Main-Airbase nach Berlin und zurück, das bedeutete 15-Stunden-Arbeitstage. Elf Monate dauerte die Luftbrücke, der Rekord waren 1398 Flüge innerhalb von 24 Stunden im April 1949.

In einer der Ausladepausen im Sommer 1948 schlenderte Halvorsen zum Flughafenzaun in Tempelhof, wo an die 30 Kinder warteten. Er aber hatte nur zwei Kaugummis in der Tasche, die er mit dem Armeemesser in mehrere Portionen teilte. Denen, die leer ausgingen, versprach er, beim nächsten Mal mehr Süßigkeiten mitzubringen. „Wie werden wir dein Flugzeug erkennen?“, fragte ein Mädchen. Er werde beim Anflug mit den Flügeln wackeln, antwortete Halvorsen. In Frankfurt sammelte er von Kameraden Schokolade- und Kaugummivorräte ein, knüpfte aus Taschentüchern kleine Fallschirme und band die Süßigkeiten darunter. Jeden Tag wuchs von nun an die Zahl der Kinder in der Einflugschneise. Die Vorgesetzten, erzählt Halvorsen, wurden aufmerksam, als Briefe an den „Wackelpiloten“ in der amerikanischen Militärkommandantur Berlin eintrafen. Er wurde zum Rapport einbestellt, bekam „einen Anschiss“ für die nicht genehmigte Aktion – und den Befehl weiterzumachen.

33-mal ist Halvorsen seit dem Ende der Luftbrücke in Berlin gewesen, zwischen 1970 und 1974 sogar als Kommandeur von Tempelhof. In der Zeit der vehementesten Vietnamkriegsproteste war der Luftbrückenveteran der beste denkbare Vertreter der US-Luftwaffe in Berlin. Es würde Halvorsen auch freuen, wenn die Stadt ihn und seine Kollegen zum 60. Jahrestag einladen würde – am besten mitsamt der „Spirit of Freedom“, um Berliner Schülern einen „Candy Drop“ vorzufliegen. So ein Stück Geschichtsunterricht kostet freilich, wegen des Transports der alten DC-4 nach Europa.

Unter deutschen Diplomaten und Geschäftsleuten kursiert noch ein Vorschlag, wie Deutschland seine Dankbarkeit ausdrücken könnte, 60 Jahre danach: ein Luftbrückendenkmal in Amerika. In Tempelhof und auf der Rhein-Main-Airbase steht bereits eine „Hungerharke“. Ein dritte, finden sie, gehört nach Washington oder Norfolk.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false