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Panorama: Die merkwürdige „Theorie vom Blitz“

Der Absturz der Tupolew gibt Rätsel auf

Unter den Opfern der Flugzeugkatastrophe in der Ukraine befinden sich möglicherweise zwei deutsche Passagiere. Das sagte ein Sprecher der Fluggesellschaft Pulkovo nach einer Auswertung der Passagierliste. Eine Bestätigung vom Auswärtigen Amt steht noch aus.

Die dreistrahlige Tupolew-154 hatte sich auf dem Linienflug FV 612 vom Schwarzmeer-Badeort Anapa nach St.Petersburg befunden, wo die meisten der 160 Passagiere und zehn Besatzungsmitglieder lebten. Gestern wurden die beiden Flugschreiber gefunden. Die Absturzursache bleibt aber weiterhin rätselhaft. Rätsel gab es vor allem, weil um 17 Uhr 30, also nur knapp zwei Stunden nach dem Unglück, das Ministerium für Transport als vorläufige Ursache „Blitzschlag“ angab. Sicher ist nur, dass die Besatzung während eines schweren Gewitters offenbar die Kontrolle über die Düsenmaschine verloren hat. „Das Flugzeug trudelte im Fall um die eigene Achse“, sagte der Schüler Sergej Melnijkow aus dem Dorf Suchaja Balka.

Die „Blitztheorie“ wird von Experten für unwahrscheinlich gehalten, da ein Flugzeug so wie ein Auto einen Faradayschen Käfig bildet. Dabei wird der Blitz um die Außenwand herum abgelenkt, die Insassen bleiben unberührt. Zwar kann die empfindliche Bordelektronik moderner Jets eventuell Schaden nehmen, doch ist die TU-154 noch mit alten, robusten Instrumenten ausgestattet.

Reisende, die einmal einen Blitzschlag im Flugzeug erlebt haben, berichten, dass dabei plötzlich ein kurzer, harter Schlag, verbunden mit einem Knall, die Maschine erschüttert. Die Kabinenbeleuchtung geht für ein oder zwei Sekunden aus. Oft schlägt der Blitz in das Seitenleitwerk ein, weil das der höchste Punkt der Maschine ist. Die elektrischen Systeme sind in der Regel mehrfach ausgelegt, sodass ein Blitzschlag der Bordelektronik eigentlich wenig anhaben kann. 1988 war durch einen Blitzschlag die Bordelektrik einer kleinen Metroliner-Propellermaschine auf dem Flug von Hannover nach Düsseldorf ausgefallen. Das Flugzeug mit 19 Passagieren geriet in einen unkontrollierten Flugzustand und zerbrach durch Überlastung.

Im jetzt vorliegenden Fall könnte ein Feuer an Bord eher durch Überhitzung der altmodischen, elektrischen Toilettenpumpen oder durch eine Zigarettenkippe entstanden sein, sagte ein ehemaliger Interflug-Pilot dem Tagesspiegel. Die Unglücksmaschine wurde 1992 gebaut. Sie war für eine Gesamtzahl von 30 000 Flugstunden zugelassen und hatte 24 215 davon absolviert.

Die Blitz- oder Gewittertheorie wird auch in russischen Luftfahrtkreisen stark angezweifelt. Pjotr Deinekin, Oberkommandierender der Luftwaffe 1991-1998, sagte: „Ich glaube nicht, dass ein erfahrener Pilot der Fluggesellschaft Pulkovo mit einer solch bewährten Maschine nicht durch eine Gewitterfront fliegen kann.“ Nikolaj Bezborodov, Generalmajor der Luftwaffe a.D., sagte: „Die Tupolew-154 ist eine der sichersten Maschinen der Welt. Ich bin selbst mit ihr geflogen und ich kann mir kaum vorstellen, dass es der Pilot nicht schafft, sie durch Turbulenzen zu steuern.“

Für einen terroristischen Hintergrund gibt es bisher keinen Hinweis.

Die Unglücksmaschine – Kennzeichen „RA 85185“ – wurde regelmäßig auf Strecken nach Deutschland, darunter Schönefeld, sowie in andere EU-Länder eingesetzt, wo ausländische Flugzeuge besonderen Sicherheitskontrollen unterliegen.

Rainer W. During[Elke Windisch], Irina Golovanova[Elke Windisch]

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