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Panorama: Die neue Spaß-Guerilla

„Flash Mobs“ nehmen zuerst Manhattan, dann Berlin

Von Matthias B. Krause,

New York

Über den Geburtsort streiten sich die Gelehrten. War es ein Schuhgeschäft in Soho oder ein Kaufhaus in Midtown? Oder doch erst das Grand Hyatt in Manhattan? Fest steht nur, dass der erste so genannte Flash Mob Anfang des Monats in New York gesichtet wurde. Und seitdem breitet sich das Phänomen in rasender Geschwindigkeit über den Globus aus. San Francisco, Minneapolis und Rom waren die nächsten Stationen, an denen sich größere Menschenmengen spontan und scheinbar sinnfrei zu minutenkurzen Aktionen zusammenfanden.

Die Welle rollt. Zuerst nahm der Flash Mob Manhattan, als Nächstes nimmt er Berlin. Am heutigen Mittwoch um 18 Uhr steht ein Herr mit buntem Regenschirm im Sony Center. Einzelheiten werden erst dort bekanntgegeben. „ http://flashmob.twoday.net/ ; zufolge will sich am Freitag ein Flash Mob um 18 Uhr vor dem KaDeWe treffen. Sie holen um 18 Uhr 1 ihr Handy raus und sagen immer „Ja“, „Ja“, „Ja“. Um 18 Uhr 2 stecken sie das Handy in die Tasche und fangen an zu applaudieren. Um 18 Uhr 3 verlassen sie umgehend den Eingang des KaDeWe. „Im Augenblick ist das so etwas wie ein lustiger Streich", sagte Rob Zazueta kürzlich dem „Boston Globe", „aber das geht tiefer. Es ist der Beweis, dass wir mit den technischen Möglichkeiten, die wir haben, spontan zusammenkommen können. Und wir hoffen, dass daraus etwas viel Größeres wird." Ohne kommerzielle Interessen oder politische Botschaft, „für Leute, die Teil der nächsten sozialen Revolution sein wollen", wie Zazueta sagt. Er beruft sich dabei auf den Web-Theoretiker Howard Rheingold, der in seinem jüngsten Buch das Konzept der „Smart Mobs" beschreibt ( www.smartmobs.com ). Nach seiner Definition ist es ein Phänomen, das entsteht, wenn große Gruppen mit moderner Kommunikationstechnologie ihre Talente nutzen. „Was wir im Augenblick sehen, sind die frühen Tage von etwas", sagte Rheingold der „Business Week", „eine Wiederbelebung der Graswurzelbewegung, die alles einschließt. Von einfach Spaß zu haben bis zur friedlichen Demonstration auf der Straße." Bei den Flash Mobs in Manhattan versammelten sich die Leute in einem großen Kaufhaus in der Teppichabteilung. Dort ließen die 100 Kunden die Verkäufer wissen, dass sie alle in einer Kommune lebten und einen großen „Liebesteppich" suchen würden.

Heute abend Sony Center

Nach ein paar Minuten verschwand die Menge ebenso schnell, wie sie gekommen war, und ließ verwirrtes Personal zurück. Im Hyatt wiederum drängte sich die Menge auf der Hotelgalerie und begann auf Kommando zu klatschen und zu johlen, also hätte sie gerade einen Hollywood-Star gesichtet. Auch hier war der Spuk beendet, bevor der erste Streifenwagen um die Ecke bog. In San Francisco tanzten 250 Menschen in einem großen Kreis auf einer zentralen Kreuzung. Zweimal hintereinander, immer brav bei Grün. Gottfried Mayer, Chaos-Forscher an der Penn- State-Universität, sieht in dem Flash MobPhänomen eine Bestätigung für die These, dass sich das Internet in ähnlichen Strukturen organisiert wie das menschliche Gehirn, als „globales Gehirn“. „Von daher ist es völlig nahe liegend, dass spontan organisierte Massenveranstaltungen wie diese Flash Mobs Teil einer künstlerischen Ausdrucksweise werden", sagt Mayer, „auf einer längeren Zeitskala wird man nun erwarten, dass sich später professionelle Flash-Mob-Aktivisten organisieren und neue, dauerhaftere Strukturen entwickeln – ganz so, wie in unserem Gehirn Strukturen zum Langzeitgedächtnis entstehen.“ Das Prinzip der Massensynchronisation durch Internet und Handy kann dabei eine gewaltige Dynamik entwickeln. Für die Proteste gegen den Irak-Krieg setzen die US-Kriegsgegner Mailinglisten und Internetforen erfolgreich ein. Im Augenblick allerdings macht die Spaß-Fraktion die Schlagzeilen. Nach den ungeschriebenen Gesetzen bekommen die Teilnehmer erst wenige Minuten vor der Kundgebung Handlungsanweisungen. Im Voraus werden nur Ort und Zeit bekannt gegeben.

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